Rede · Lars Harms · 23.09.2020 Wir schaffen noch mehr

Mir kann niemand erzählen, dass die Europäische Union diese Menschen nicht aufnehmen kann.

Lars Harms zu TOP 32 +35 - Humanität geht vor! Aufnahmeprogramm für Geflüchtete aus Moria, Lesbos jetzt! – EU-Asylpolitik endlich reformieren (Drs. 19/2437 & 19/2434)

Menschenrechtsorganisationen warnen schon lange vor den Zuständen in den Zeltlagern an den EU-Außengrenzen, in denen Geflüchtete monatelang, teils über ein Jahr ausharren und auf die Entscheidung ihrer Asylanträge warten müssen. 
Wir konnten aus weiter Entfernung dabei zusehen, wie sich eine humanitäre Katastrophe ankündigt. 
Neulich habe ich in einem Kommentar gelesen: Moria brennt seit Monaten. Jetzt brennt es buchstäblich. Das hat es für mich auf den Punkt getroffen. 
Das muss man sich doch mal klar machen. In Moria gab es Kapazitäten für 2.800 Menschen. Zeitweise waren dort 20.000 untergebracht. Da gab es nicht genug Betten. Da gab es keine Gesundheitsversorgung. Da gab es noch nicht einmal fließend Wasser.
Deutschland wird jetzt insgesamt etwa 2750 Geflüchtete von den griechischen Inseln aufnehmen. 
Es sind 1553 Menschen, die in Griechenland schon als schutzberechtigt anerkannt worden sind. Außerdem bis zu 150 unbegleitete Minderjährige, ungefähr 50 davon sind bereits angekommen. Dazu kommen noch 243 behandlungsbedürftige Kinder mit ihren Kernfamilien, was ungefähr 1000 Menschen umfassen wird. Über diese Zahlen hinaus jedoch, so hieß es vom Regierungssprecher, setze sich die Regierung für eine weitergehende europäische Lösung mit anderen aufnahmewilligen Staaten ein. 

Wir konnten in den letzten Jahren wiederholt beobachten, dass die Staaten an den EU-Außengrenzen einfach mit der Anzahl der Menschen, die dort ankamen, überfordert waren. 
Die Dublin-Verordnung ist höchst umstritten und dass sie generell reformiert werden muss, genauso wie dass das EU-Türkei-Abkommen ersetzt gehört, scheint mir fast mehrheitsfähig. 
Auch aus Sicht des SSW brauchen wir ein anderes Regelwerk in der EU. Wenn wir hier nicht endlich zu einer neuen gemeinsamen Politik kommen, laufen wir weiter Gefahr, immer wieder unkoordiniert reagieren zu müssen. 
Und doch muss man sich ja fragen: Ist ein gemeinsamer Weg der EU überhaupt möglich? Ist eine gemeinsame EU-Asylpolitik bei den so unterschiedlichen Regierungen realistisch? 
Denn ich muss auch sagen, meine Vorstellung einer menschenwürdigen Asylpolitik ist nicht die von Viktor Orban. Auch der „Schutz der Außengrenzen“ lässt sich sehr unterschiedlich interpretieren. 
Es kann also durchaus passieren, dass europäische Standards deutsche Standards unterlaufen werden. 
Vielleicht wird es daher eher auf einen Zusammenschluss derjenigen Regierungen hinauslaufen, die sich in der Tradition europäischer Ziele und Werte sehen. Die sich dazu bekennen, dass die Europäische Union nicht nur eine Wirtschaftsunion ist, sondern von Beginn an auch den Zweck hatte, Frieden, Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Menschenrechte zu sichern. 
Womöglich wird die Reform der EU-Asylpolitik aber zur Hauptaufgabe der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Denn dass sie gescheitert ist, wird, denke ich, an den EU-Außengrenzen offenkundig. Aber das ist ein Langzeitziel. Vorrangig geht es uns doch darum, jetzt Handlungsmöglichkeiten zu bekommen.  

Wir bekommen in unserem Büro regelmäßig Post von Menschen, die uns auffordern, endlich etwas für die Menschen in den Auffanglagern an den europäischen Außengrenzen zu tun. Unsere Bürgerinnen und Bürger gehen auf die Straße, um Menschen in Not helfen zu dürfen.
15 Gemeinden und Kommunen, allein in Schleswig-Holstein haben sich freiwillig als sogenannte Sichere Häfen gemeldet. Deutschlandweit sind es schon 174 Städte, Kreise und Gemeinden. Hier will die Zivilgesellschaft gemeinsam mit den politischen Vertretungen über die üblichen Kontingente hinaus Geflüchtete aufnehmen. 
Ich habe die leeren Stühle vor Augen, die vor dem Reichstagsgebäude, aber auch in Hamburg, Kiel oder Flensburg und anderen Orten aufgestellt wurden. Sie sollen uns metaphorisch verdeutlichen: Wir schaffen noch mehr. Wir haben Platz! 

Knapp 35.000 Geflüchtete hielten sich im Juni 2020 noch auf den griechischen Inseln auf. 
Die EU hat eine Bevölkerung von 446 Millionen Menschen. Alle Geflüchteten der griechischen Inseln machen zusammen 0,008 % der EU-Bevölkerung aus. Meine Damen und Herren: Mir kann niemand erzählen, dass die Europäische Union diese Menschen nicht aufnehmen kann. 

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