Rede · Christian Dirschauer · 22.05.2024 Wir fordern verlässliche und bezahlbare Kitas
"Jeder kämpft mittlerweile für sich: Träger, Eltern, Kommunen und das Ministerium. Und wenn ich eingangs gesagt habe, dass der Konsens in der letzten Legislatur eben ein Erfolg war, muss man jetzt wohl nüchtern feststellen, dass uns die jetzige Regierung hier bisher einen kommunikativ bitteren Misserfolg serviert."
Christian Dirschauer zu TOP 24+29 - Regierungserklärung, Mündlicher Bericht über die Ergebnisse und Auswirkungen des Abschlussberichts der Evaluation des Kindertagesförderungsgesetzes sowie keine Erhöhung der Kita-Beiträge (Drs. 20/2160, 20/2091, 20/2109)
Wenn wir auf die letzte Legislaturperiode zurückblicken, kann man wohl eins ganz nüchtern feststellen: das größte sozialpolitische Projekt der „Jamaika-Koalition“ war wohl die Kita-Reform. Die seinerzeitige Regierung hatte sich auf den Weg gemacht, das Kitasystem in Schleswig-Holstein neu aufzustellen und gleichzeitig eine große sozialpolitische Baustelle anzugehen: nämlich die Reduzierung der teilweise extrem hohen Kita-Beiträge. Nicht wenige Eltern haben sich gefragt: lohnt es eigentlich arbeiten zu gehen, wenn ich dann wiederum einen Kita-Platz mit teilweise bis zu 800 € im Monat bezahlen muss - und dann noch zuzüglich Essensgeld? Und allein diese Frage macht deutlich, dass sich an die Kita-Reform auch unmittelbar weitere Politikfelder angeschlossen haben u. a. aus dem Bereich der Gleichstellung und der Fach- und Arbeitskräftegewinnung.
Als SSW haben wir die Reform daher von Anfang an konstruktiv begleitet und diese am Ende auch mit unserem Abstimmungsverhalten hier in diesem Hause mitgetragen. Und auch heute, in der Rückschau, halte ich dies für richtig. Das bei einer solch großen Reform in der Praxis nicht alles reibungslos verläuft, vermag kaum zu überraschen. Aber genau dafür gibt es ja die Evaluation. Was man aber sicher als damaligen Erfolg bewerten kann, ist dass es dem Kollegen Dr. Garg als Sozialminister gelungen war, einen breiten Konsens für die Reform zu generieren. Ein Konsens zwischen Eltern, Trägern, Kommunen und eben dem Land. Und auch wenn nicht jede Forderung der einzelnen Parteien umgesetzt werden konnte, so standen doch alle vom Grundsatz hinter dem Dreiklang aus Verbesserung der Qualität, Beitragssenkungen für die Eltern und Entlastung der Kommunen.
Nach den Beratungen des Abschlussberichts zur Evaluation im Fachgremium war wohl ganz klar: selbst mit größtmöglicher Fantasie konnte man einen solchen breiten Konsens wohl nicht mehr herbeireden. Warum ist das so? Wenn man sich die Rückmeldungen aus dem Fachgremium so anhört, wird schnell deutlich, dass es schon bei der Definition der Aufgabe des Fachgremiums keinen Konsens mehr gibt, weil das Ministerium offenbar darauf beharrte, den Evaluationsbericht unter dem Gesichtspunkt der aktuellen Haushaltslage zu beraten und nicht entsprechend der im Kita-Gesetz festgelegten Aufgaben. So haben wir es heute eben nicht mit einer gemeinsamen Bewertung der Reform zu tun. Es gibt keine gemeinsamen Vorschläge, die eine konsensuale Weiterentwicklung der Reform gewährleisten. Nein, jeder kämpft mittlerweile für sich: Träger, Eltern, Kommunen und das Ministerium. Und wenn ich eingangs gesagt habe, dass der Konsens in der letzten Legislatur eben ein Erfolg war, muss man jetzt wohl nüchtern feststellen, dass uns die jetzige Regierung hier bisher einen kommunikativ bitteren Misserfolg serviert. Denn wenn wir uns eins nicht leisten können, dann ist es doch das Ausspielen der unterschiedlichen Interessen auf dem Rücken der Kinder! Aber genau das haben wir in den letzten Monaten erlebt.
Ich habe es hier am Rednerpult mehrfach betont, dass ich nicht nur als Abgeordneter dieses Hauses, sondern eben auch als Vater von drei Kindern, eins in der Kita zwei im Hort, auf dieses Thema Blicke. Und ich habe mehrfach betont, dass ich auch aus meiner ganz persönlichen Erfahrung heraus sagen muss, dass das Kitasystem leider viel zu oft noch nicht so funktioniert, wie wir Eltern es uns wünschen. Kita-Schließungen und kurzfristige Einschränkungen der Betreuungszeiten kennen mittlerweile wohl alle Eltern. Und warum ist das so? Weil nicht genügend Personal da ist, um die rechtlichen Normierungen einzuhalten. Und hier sprechen wir nicht über Einzel- oder Ausnahmefälle, sondern von einem Dauerzustand. Und viele Eltern sind zwischenzeitlich überfordert mit den immer wieder kurzfristig angekündigten Ausfällen in der Betreuung. Denn die wenigsten Eltern haben einen Job, in dem sie flexibel und noch dazu spontan ihre Arbeitszeiten ändern oder aussetzen können. Das sorgt für zusätzlichen Stress in den Familien, die doch nach Corona und der stetig steigenden Verbraucherpreise schon oftmals am Limit sind.
Und auch wenn ich mich wiederhole: wenn wir also heute, im Jahr 2024, über Kita und Kindertagespflege in Schleswig-Holstein reden, dann reden wir vor allem über eins: dem Wunsch nach Verlässlichkeit in der Betreuung und nach Bezahlbarkeit. Wir reden darüber, dass Einrichtungen in der Lage sein müssen, ihre Angebote in vollem Umfang aufrechtzuerhalten und wir reden darüber, das Versprechen an die Eltern einzulösen, dass sich jeder Kinderbetreuung leisten können soll. Übrigens längst nicht das einzige Versprechen aus dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag – denn dort steht auch: „die Elternbeiträge werden weiter reduziert“. Nicht „sollen“, nicht „könnten vielleicht“, sondern „werden“. Dieses Versprechen werden Sie, wenn man die heutige Presseberichterstattung liest, nicht einhalten. Sie schließen weitere Beitragssenkungen für diese Legislatur aus. Das ist zumindest ehrlich und mit offenem Visier formuliert. Für mich dann aber hier und heute doch zu viel „Ausschließeritis“; haben wir doch noch ganze 3 Haushalte vor uns, die in dieser Wahlperiode zu beschließen sind.
Und langfristig, das war und bleibt Haltung des SSW, muss das Ziel sein, Bildung von der frühkindlichen Bildung ab der Krippe bis zum Hochschulstudium kostenfrei zu ermöglichen. Der Zugang zu Bildung darf nicht davon abhängen, ob Familien sich dies finanziell leisten können. Alle jungen Menschen haben ein Recht auf Bildung!
Frau Ministerin, Ihre zehn Punkte klingen ja oberflächlich und pauschal erstmal grundsätzlich gut. Und was ich sofort unterschreiben würde, ist die Aussage „weniger Kontrolle, mehr Vertrauen“. Denn mal ganz im Ernst, und jetzt spricht hier wieder der Vater: jeden Tag gebe ich das wertvollste das ich habe, in die Hände des Kitapersonals: meine Kinder. Und wenn wir Eltern tagtäglich vertrauen können, dann sollten auch die Behörden und der Gesetzgeber das können. Und deswegen haben Sie uns auch an Ihrer Seite, wenn Sie ernsthaft Bürokratie abbauen wollen. Sowohl in Gänze, aber im Besonderen eben auch bei den Fachkräften, die dieses System tagtäglich tragen und denen unser aller Dank gebührt. Und zwar vor allem dafür, dass sie sich dieser gesellschaftlich doch so fundamental wichtigen Aufgabe annehmen.
Auch einen flexibleren Personaleinsatz vor Ort können wir grundsätzlich unterstützten. Die Verantwortung und eben das Vertrauen muss zurück in die Kitas. Die Einrichtungen wissen selbst am besten, wie sie die Abläufe vor Ort kindgerecht und mit dem entsprechenden Bildungsauftrag gestalten müssen. Aber: mehr Flexibilität darf nicht bedeuten, die Qualität zu verringern. Denn was ist die absolute Grundvoraussetzung für Qualität: Ausreichendes und gut ausgebildetes Personal. Und das ist heute eben schon stark belastet und wir haben schon heute mit einer viel zu geringen Verweildauer der Beschäftigten in den Einrichtungen zu kämpfen. Die Zitrone ist schon staubtrocken, da können Sie nichts mehr auspressen!
Frau Ministerin, wie in der vergangenen Legislatur wollen wir uns als SSW konstruktiv-kritisch in das anstehende Gesetzgebungsverfahren einbringen. Ich muss sagen, bisher haben Sie es uns nicht leicht gemacht. Noch haben Sie die Möglichkeit das Ruder rumzureißen. Wir sind gespannt auf den ausformulierten Gesetzesentwurf und vor allem auf die Stellungnahmen von Eltern, Trägern und Kommunen!