Rede · Jette Waldinger-Thiering · 13.12.2024 Wir brauchen eine zeitgemäße Regelung für Schwangerschaftsabbrüche
„Und auch die vorgelagerte Verantwortung für die Verhütung überlassen wir den Frauen allein. Auch das ist eine Forderung aus dem Kommissionsbericht: Verhütungsmittel müssen kostenlos sein, für alle! Es kann und darf nicht sein, dass Frauen ungewollt schwanger werden, weil sie nicht genug Geld für Verhütungsmittel haben.“
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 29 - Unterstützung des überfraktionellen Gesetzentwurfs im Bundestag zur Neuregelung der Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch (Drs. 20/2743)
Seit Jahrzehnten schon diskutiert die Bundespolitik über den § 218, der den Schwangerschaftsabbruch regelt. Und seit Jahrzehnten kommen wir nicht voran. Ich habe das ungute Gefühl, dass das anders wäre, wenn hier Männer und nicht Frauen die Betroffenen wären. Denn das ist ein Teil der Absurdität an der Situation: schon immer saßen im Bundestag deutlich mehr Männer als Frauen. Ich will mich da gar nicht denjenigen anschließen, die sagen, dass die Ausgestaltung des Rechts zum Schwangerschaftsabbruch nur von Frauen geregelt werden könne. So ist es nicht, Gesetze müssen immer gesamtgesellschaftlich getragen werden. Und doch glaube ich, kommen viele Männer zu einer anderen Abwägung als Frauen, wenn es um die Frage geht, wessen Rechte stärker zu gewichten sind. Die der Frau oder die des ungeborenen Kindes. Die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission hat sich ausführlich mit der aktuellen Gesetzeslage befasst und hier gute Vorschläge zu einer längst überfälligen Neuregelung gemacht. Im Kern geht es um die Frage, wessen Grundrechte das höhere Gewicht haben. Und die Kommission stellt zurecht fest, dass diese Abwägung nicht starr ist und es hier Spielräume für Veränderung gibt, ohne dass die Politik sich von den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts an die kurze Leine nehmen lassen muss. Deutschland ist keine Insel. Zwar sind wir unserem Grundgesetz verpflichtet, aber auch im Kontext Völker- und Europarechtlicher Normen. Und hier hat der Diskurs sich in den letzten Jahren verändert. Entsprechend ist auch der § 2018 endlich zu ändern. Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen ist keine Lappalie, es ist ein zu schützendes Recht. Und die Frauen sind ja nicht allein schwanger geworden, aber den schwarzen Peter, der heute heißt: du brichst zwar das Recht, aber wir wollen mal nicht so sein, wir sehen von einer Strafe ab, den bekommen die Frauen allein.
Und auch die vorgelagerte Verantwortung für die Verhütung überlassen wir den Frauen allein. Auch das ist eine Forderung aus dem Kommissionsbericht: Verhütungsmittel müssen kostenlos sein, für alle! Es kann und darf nicht sein, dass Frauen ungewollt schwanger werden, weil sie nicht genug Geld für Verhütungsmittel haben.
Es ist mehr als ärgerlich, dass die Regierung das Thema seit Beginn der Legislatur vor sich hergeschoben hat. Offenbar, weil es keinen Konsens mit der FDP gab. Gerade mit der FDP, die ein Garant sein will für die Freiheit der Menschen und den Schutz vor staatlichen Eingriffen. Das nehme ich als deutlichen Widerspruch wahr. Ohne Frage eignet sich die Debatte für keinen Wahlkampf, da sie aber schon so lange überfällig ist, könnte man das Thema nun auch deutlich mutiger angehen. Kaum ein Land in Europa hält an so restriktiven Regeln fest wie wir. Auf der anderen Seite erlauben wir uns eklatante Regelungslücken bei Spätabbrüchen. Da fragt niemand nach den Grundrechten des Ungeborenen. Auch auf diese nicht zu verantwortende Lücke im bestehenden Gesetz hat die Kommission explizit hingewiesen. Was wir brauchen, ist eine zeitgemäße Regelung für Schwangerschaftsabbrüche, die in den ersten Phasen der Schwangerschaft eine Grundrechtsabwägung zu Gunsten der Frauen vornimmt, aber auch ein Gesetz, die sich kritisch mit Regelungslücken in der Spätschwangerschaft auseinandersetzt. Die bestehende Rechtslage, die seit 1870 nahezu unverändert gilt, ist schlicht nicht länger tragbar. Ich danke an dieser Stelle ganz explizit denjenigen Abgeordneten in Berlin, darunter auch unser Stefan Seidler, die sich auf den Weg gemacht und die Debatte endlich angestoßen haben. Von allen anderen wünsche ich mir, dass sie die Rechte der Frauen stärker in den Blick nehmen. Auch das ist eine Frage von Gleichberechtigung, dass wir nicht länger so tun, als wären Frauen zum Gebären da, ob sie wollen oder nicht.