Rede · Christian Dirschauer · 21.11.2024 Viele Kinder erhalten noch immer keine Betreuung

„Wie groß das Problem tatsächlich ist, wollte jahrelang niemand wissen. Die Landesregierung hat aufgrund fehlender Daten keinen echten Überblick. Bund und Land haben das Problem erfolgreich ignoriert und eine Datenerhebung regelrecht verschlafen.“

Christian Dirschauer zu TOP 38 - Prognose des Fachkräftebedarfs in Kindertageseinrichtungen/ Fachkräfte- und Ausbildungssituation sowie Umsetzungsstand von Strategien zur Fachkräftegewinnung im Bereich von Kindertageseinrichtungen, Ganztagsbetreuung und Jugendhilfe (Drs. 20/2348, 20/2433 und 20/1606)

Vielen Dank an die Beschäftigten im Ministerium für die Erstellung der Berichte, die einen guten Überblick über das geben, was man weiß und auch über das, was man noch nicht weiß. Die Berichte zeigen die großen Herausforderungen auf, die im Sozialwesen und damit für die Sozialberufe bestehen und auf diese zukommen. Da gibt es viele Parallelen zu anderen Berufen, aber im Gegensatz zur Buchbinderei oder im Bankwesen brennt die Kerze bei den Sozialberufen an zwei Enden: denn einerseits werden viele bewährte Kräfte altersbedingt ausscheiden, andererseits steigt die Nachfrage nach den Dienstleistungen exorbitant. 
Wie groß das Problem tatsächlich ist, wollte jahrelang niemand wissen. Die Landesregierung hat aufgrund fehlender Daten keinen echten Überblick. Bund und Land haben das Problem erfolgreich ignoriert und eine Datenerhebung regelrecht verschlafen. Laut Bericht befindet sich die Landesregierung in der Vorbereitung einer wissenschaftlich fundierten Prognose bezüglich der bedarfsgerechten Betreuung in der frühkindlichen Bildung. Wie gesagt, in der Vorbereitung. Wie lange die Prognose dann tatsächlich auf sich warten lässt und ob sie tatsächlich Ende nächsten Jahres abgeschlossen sein wird, erscheint mir eher fraglich. Und mit mir auch vielen Eltern, Trägern und Beschäftigten. Allerdings muss ich an dieser Stelle der Landesregierung durchaus Einfallsreichtum bei der Lösung der personellen Herausforderungen zugestehen. Da wird ein regelrechter Strauß von Maßnahmen wortreich in den Berichten vorgestellt: Akquise von Quereinsteigerinnen und -steigern, Entlastung der bestehenden Kräfte, Qualifizierung von Beschäftigten und so weiter und so fort. Ob dieses Bündel an Strategien und Maßnahmen allerdings reichen wird, um das Problem zu lösen, bezweifle ich.
Schauen wir doch einmal auf die Zahlen: Seit 2014 eröffneten in Schleswig-Holstein 135 neue Kindertageseinrichtungen. Das allein finde ich einen sehr guten Zuwachs, der durchaus zur Versorgungssicherheit beiträgt. 121.000 Kinder wurden hier im vergangenen Jahr von insgesamt 25.000 Fachkräften betreut. Das ist ein Personalzuwachs von 50 Prozent im Lauf der letzten zehn Jahre. Ich denke, dass wir diesen Anstrengungen, die Kommunen, Träger und auch die Landespolitik im letzten Jahrzehnt geleistet haben, durchaus Respekt zollen sollten. Doch bei allem Lob wissen wir auch, dass der Betreuungsbedarf noch hinter dem Angebot hinterherhinkt. Bis heute können nicht alle Wünsche gedeckt werden: Vielen Kinder erhalten noch immer keine Betreuung in einer Einrichtung, sondern die Eltern nutzen Freunde oder Familie. Obwohl viel geleistet wurde, besteht also Nachholbedarf. Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Landesregierung in diesem Punkt ehrlich ist und die Situation nicht schönschreibt. Allerdings denke ich, dass bei den erwähnten Maßnahmen auch mehr Klarheit nötig wäre. 
Die Punkte im Einzelnen: Da ist die Fachkräfte-Stärken-Strategie, für die 12 Millionen Euro jährlich für Maßnahmen der Personalgewinnung eingesetzt werden sollen. Ich bezweifle, ob die Mittel angesichts der extremen Wettbewerbssituation, die derzeit auf dem Arbeitsmarkt herrscht, ausreichend sind. 
Eine andere Maßnahme sind die so genannten Helfenden Hände, die nun theoretisch in allen Einrichtungen zum Zuge kommen sollen, um pädagogische Fachkräfte im Alltag zu entlasten. Die Hilfe beim Tisch decken, Aufräumen oder Vorlesen halte ich erst einmal für eine praktische Lösung. Aber auch hier bleibt die Frage offen, ob sich für diese Tätigkeiten ausreichendes und geeignetes Personal anwerben lässt. 
Zum Punkt Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse möchte ich auf Erfahrungen der letzten Jahre hinweisen: Ich habe schon zu viele Absichtserklärungen in diesem Bereich gelesen, als dass ich glauben kann, dass sich ausgerechnet bei den Kita-Kräften substanziell etwas verbessern sollte. Zuletzt möchte ich noch zur Akquise von so genannten Quereinsteigerinnen und -steigern kommen. Sie müssen sich in 480 Stunden qualifizieren und darüber hinaus 500 Stunden Praxis nachweisen. Das sind über den Daumen gepeilt ein halbes Jahr. Mich stört besonders, dass ein Träger, und zwar der Dänische Schulverein, Skoleforeningen, an diesem Programm nicht partizipieren kann. Selbstverständlich gelten in einer Einrichtung einer Minderheit für die Qualifizierung von Zweitkräften und überhaupt für die Fortbildung minderheitenpädagogische Grundsätze, also andere als in den Einrichtungen der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Auch wenn man im Land nicht bereit ist, entsprechende, zusätzliche Gelder bereit zu stellen, muss Skoleforeningen aus den bestehenden Töpfen zumindest einen fairen Anteil erhalten. Das ist die klare Erwartungshaltung der dänischen Minderheit.
Ich habe mehrere Punkte angesprochen, die ich gerne im Ausschuss diskutieren möchte. Besonders freue ich mich auf eine vertiefende Anhörung, um eine solide fachliche Grundlage für die weiteren Entscheidungen zu erhalten.

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