Rede · 30.04.2004 Umsetzung von FFH- und Vogelschutzrichtlinie in Schleswig-Holstein

Die Umsetzung von NATURA 2000 wird in unserem Land hart diskutiert und ich glaube, das ist auch in Ordnung so. Denn man kann sagen was man will, die Ausweisung von Schutzgebieten kann erhebliche Folgen für die betroffenen Regionen haben. Trotzdem möchte ich zuallererst zweierlei feststellen. Erstens sind die meisten Gebiete - und hierbei vor allem FFH-Gebiete – in der Vergangenheit weitestgehend konfliktfrei ausgewiesen worden. In den jeweiligen Verfahren ließen sich Konflikte durch gemeinsame Gespräche der Betroffenen und des Umweltministeriums entschärfen. Eine solche Lösung wünschen wir uns natürlich für alle Gebiete. Zweitens stehen wir als SSW hinter den Zielen des Programms NATURA 2000, so wie wir es in unserem Antrag formuliert haben. Und wir wissen, dass auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Das schließt ausdrücklich auch die betroffenen Kommunen, Gewerbetreibende, Touristiker, Landwirte und viele andere ein, die nicht gegen Naturschutz sind, sondern sich schon in der Vergangenheit um den Naturschutz bemüht haben.

Bei einer solchen Konstellation sollte man eigentlich meinen, dass dann nachhaltige Konflikte weitestgehend unmöglich seien. Dem ist aber leider nicht so. Durch die Art und Weise, wie man in der Vergangenheit miteinander umgegangen ist, haben sich Konfliktpotentiale aufgebaut, die andernorts bloß auf Unverständnis treffen. Dass Gebiete als FFH- oder Vogelschutzgebiet überhaupt vorgeschlagen werden, ohne vorher intensiv mit den Betroffenen zu beraten und dann gemeinsam einen Vorschlag zu erarbeiten, klingt in den Ohren meiner Gesprächspartner in Dänemark immer wieder sonderbar. Dort wird NATURA 2000 natürlich auch umgesetzt. Aber man hat dort vorher mit den Betroffenen intensiv Gespräche geführt und sich dann gemeinsam geeinigt, welche Gebiete vorgeschlagen werden sollen. Man hat also im Vorwege schon das mögliche Konfliktpotential minimiert. Im Übrigen macht man jetzt in Dänemark in bezug auf einen künftigen Nationalpark Wattenmeer dasselbe. Man hat dort beschlossen, quasi probeweise ein Projekt „Nationalpark“ zu beginnen und eine Steuerungsgruppe aus den verschiedensten berührten Organisationen und aus den Ministerien soll nun eine probeweise Umsetzung durchführen und die Probleme und Chancen beraten. Nachdem dann diese Probephase vorbei ist und man seine konkreten Erfahrungen mit den Projekt „Nationalpark“ gemacht hat, soll dann diese Steuerungsgruppe Vorschläge machen, wie ein künftiges Nationalpark-Gesetz aussehen soll. Erst danach geht es in das formelle Gesetzgebungsverfahren. Eine solche Vorgehensweise hätten wir uns auch für die Umsetzung von NATURA 2000 bei uns gewünscht. Trotz dieser Kritik glaube ich aber, dass die Situation nicht ausweglos ist, wenn alle Beteiligten in nächster Zukunft guten Willen zeigen und in diesem Sinne ist auch unser Antrag zu verstehen.

Im ersten Punkt des Antrages machen wir deutlich, dass eine Ausweisung von Gebieten nur dann erfolgen darf, wenn eine entsprechende aktuelle Datenlage vorhanden ist und die naturschutzfachliche Begründung hierauf beruht. Erst unter diesen Voraussetzungen dürfen dann die am besten geeignetsten Gebiete ausgewiesen werden. Hier zitiere ich gerne den Bericht über die Informationsfahrt zur EU-Kommission, Umdruck 15/4392. Dort steht: „Die IBA 2002 Liste bedarf seitens der Kommission einer kritischen fachlichen Differenzierung hinsichtlich des sehr großen Umfanges der Gebiete. Geprüft wird, ob der Umfang der Liste zum Teil über das Ziel hinausgeht.“ Gerade diese IBA-Liste war aber der Ausgangspunkt in der Diskussion um die Ausweisung von Eiderstedt als Vogelschutzgebiet. Wenn also diese Daten schon verkehrt sind, kann man auch herleiten, dass die pauschale Ausweisung von Eiderstedt als Vogelschutzgebiet unbegründet ist.

Die möglicherweise am härtesten betroffenen Gebiete haben ja entsprechende Gegengutachten erstellen lassen, die durchaus deutlich machen, dass man sehr wohl zu einer anderen fachlich fundierten Meinung kommen kann als in einem ersten Schritt die Landesregierung. In diesem Zusammenhang möchte ich hier ausdrücklich meine große Anerkennung aussprechen für die saubere und schnelle Arbeit, die hier geleistet wurde, aber vor allem auch für die breite Solidarität vor allem auf Eiderstedt und in der ETS-Region. Sämtliche Gemeindevertretungen haben sich mit dem Thema beschäftigt und fast ausschließlich einstimmige Beschlüsse gefasst, die eine pauschale Gebietsausweisung ablehnen. Darüber hinaus haben alle Gemeinden sich entsprechend ihrer Einwohnerzahl an der Gutachtenerstellung finanziell beteiligt und viele Einzelpersonen haben ihren Obolus dazu beigetragen. Ich glaube dies ist ein einmaliger Vorgang und zeigt, wie ernst es den jeweiligen Regionen ist. Zumindest auf Eiderstedt hat dies zu einer nie da gewesenen Solidarisierung breiter Bevölkerungsschichten – von jung bis alt und quer durch alle politischen Lager – geführt. Auch dies sollte man bei der politischen Bewertung durchaus beachten.

Deshalb muss es klar sein, dass diese fachlichen Gutachten, wie sie beispielsweise für Eiderstedt, die ETS-Region und Fehmarn, aber auch für die Stadt Lübeck erstellt wurden, nicht unter den Tisch fallen dürfen. Der Umweltminister hat aber ja auch schon gesagt, dass er die Gutachten ernst nimmt und sie genau angucken wird. Dieses ernst nehmen und angucken muss aber dann auch Auswirkungen haben. In dem zweiten Punkt in unserem Antrag haben wir deshalb formuliert, dass die vorhandenen Ermessensspielräume genutzt werden müssen, was nur dazu führen kann, dass die auszuweisenden Gebiete zumindest wesentlich kleiner sein müssen als die derzeit vorgeschlagenen. Im Einzelfall muss man sogar bereit sein, einzugestehen, dass eine Ausweisung nicht notwendig ist. So viel Offenheit muss sein, denn zumindest das mir bekannte Gutachten für Eiderstedt macht deutlich, dass weniger in diesem Fall mehr ist.

Im Übrigen hat ja die Delegation, die sich vor kurzem bei der EU-Kommission in Brüssel befand, auch als Information mitnehmen dürfen, dass Vertragsnaturschutz auch außerhalb von Schutzgebieten weiterhin möglich sein wird. Deshalb haben wir diesen Punkt als Punkt 3 in unserem Antrag entsprechend aufgenommen. Der vierte Punkt in unserem Antrag bezieht sich wieder auf die konkrete Zusammenarbeit, wenn es um die Umsetzung von Naturschutzmaßnahmen geht. Wir glauben, dass dies am besten mit den Menschen vor Ort geht und deshalb meinen wir, dass das fehlende Fachkonzept, dass ja durch die EU-Kommission mittelbar eingefordert wird, gemeinsam erarbeitet und dann umgesetzt werden soll.

Konzepte und Gebietsauseisungen sind aber nur so gut, wie es der finanzielle Einsatz für Naturschutzmaßnahmen ist. Einer der Hauptknackpunkte ist immer noch, dass nicht sicher ist, ob die betroffenen Landbesitzer dauerhaft finanzielle Erstattungen für den Grundschutz und die Naturschutzleistungen erhalten können. Dabei will ich nicht auf die Frage anspielen, ob die derzeitig noch für den Grundschutz gezahlten 77 Euro in Zukunft nicht doch als ungerechtfertigte Wettbewerbshilfe betrachtet werden. Das können wir sowieso nicht direkt beeinflussen. Setzten wir aber voraus, dass dies weiterhin möglich ist, müssen wir wissen, ob die dafür notwendigen Haushaltsmittel dauerhaft zur Verfügung stehen und auf welcher Basis sie zur Verfügung gestellt werden. Ich zitiere nur aus der Postwurfsendung „Eiderstedt – ein Vogelschutzgebiet?“, das jeder Haushalt auf Eiderstedt bekommen hat. Dort wird auf die Frage „Können Landwirte vom Vogelschutz profitieren?“ keck mit „Ja!“ geantwortet und dann angeführt „Die Landesregierung will sich dafür einsetzen, dass Landwirte eine Prämie für den Grundschutz erhalten.“ Für weitere Naturschutzmaßnahmen sollen die Betroffenen Ausgleichszahlungen erhalten. „Sollen“ heißt aber nicht „werden erhalten“. Und „sich für etwas einsetzen“ heißt im Klartext, dass bisher nichts entschieden ist und eigentlich alles unsicher ist. Diese Unsicherheit muss vor der Gebietsausweisung aus dem Weg geräumt werden, damit man weiß, woran man ist.

Gleiches gilt auch für den zukünftigen Schutzstatus. Bei FFH-Gebieten ist dies kein Problem, da hier auch Vertragsnaturschutz möglich ist. Ich zitiere nun aus der Broschüre „Klartext – Märchen, Mythen und Fakten zu NATURA 2000“. Dort steht: „Beim Vogelschutz läuft die Geschichte etwas anders. Auch hier will die Landesregierung freiwillige Verträge - ... – die EU hat bisher Bedenken. Wir hoffen gemeinsam mit dem Bund und den anderen Bundesländern die Kommission überzeugen zu können.“ Hoffnung ist natürlich immer gut, aber hier brauchen wir schnell und vor der Ausweisung Fakten und Sicherheit. Bisher sieht die EU-Kommission den Vertragsnaturschutz nicht nur kritisch, sondern wir müssen damit rechnen, dass in bezug auf die Vogelschutzgebiete nur Naturschutzgebiete und Nationalparke als Schutzstatus anerkannt werden, weil das deutsche Naturschutzrecht keine richtig zur EU-Vogelschutzrichtlinie passende Schutzkategorien kennt. Deshalb muss zweierlei geprüft werden: Erstens, ob Vertragsnaturschutz nun doch verbindlich von der EU-Kommission anerkannt wird oder nicht. Und zweitens, wenn nicht, ob dann das Landesnaturschutzgesetz und gegebenenfalls das Bundesnaturschutzgesetz angepasst werden können und eine solche Schutzkategorie unterhalb von „Naturschutzgebieten“ geschaffen werden kann. Ansonsten drohen durch die Ausweisung von riesigen Flächen als Vogelschutz- und darauffolgend als Naturschutzgebiete weit mehr Restriktionen als man eigentlich will. Diese Fragen müssen auf jeden Fall vor Ausweisung der Schutzgebiete geklärt sein.

Unser Antrag ist nicht als Regierungskritik zu sehen, sondern als Grundlage für eine seriöse und kooperative Vorgehensweise, die die einzelnen Problemstellungen berücksichtigt, ohne dabei das Ziel des Naturschutzes aus den Augen zu verlieren. Wir glauben, dass immer noch eine einvernehmliche Umsetzung des Programms NATURA 2000 möglich ist und bitten deshalb um Zustimmung für unseren Antrag.

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