Rede · Lars Harms · 08.05.2020 Strategien gegen Rechtsextremismus und Rassismus müssen ausgeweitet und gestärkt werden
„Die vermeintlichen Einzeltäter waren in Wahrheit gut vernetzte Menschen und rechte Strukturen bereiten ihnen den Weg und rechte Hetze wiegelt sie auf.“
Lars Harms zu TOP 29 - Für Demokratie – Gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Terror (Drs. 19/2078)
Am 19. Februar wurden in Hanau zehn Menschen bei einem rechten Terroranschlag umgebracht. Sie wurden ermordet von einem Mann, der rassistisch und antisemitisch gedacht hat. Der Anhänger von Verschwörungstheorien und dessen Weltbild rechtsextrem war. Fast drei Monate ist das nun her. Wir haben um die Opfer getrauert und Zeit gehabt, über den Anschlag nachzudenken. Und wir können zurückblicken darauf, wie die gesellschaftliche Debatte war und ist.
In Beschreibungen der Tat konnte man oft lesen „neun der zehn Opfer hatten einen Migrationshintergrund“. Diese Zuschreibung impliziert ja irgendwie, dass die Opfer der Tat irgendwie gemeinschaftlich beschreibbar gewesen wären. Dabei hatten sie so unterschiedliche Leben, Familien und Zugänge.
Ferhat U. war das Kind kurdischer Eltern und hatte gerade seine Ausbildung abgeschlossen. Mercedes K. war deutsche Romni, Mutter von zwei Kindern und zum Tatzeitpunkt schwanger. Sedat G. starb mit 30 in der Bar, deren Chef er war. Gökhan G. war schon in Hanau geboren, seine kurdische Familie zog in den Sechzigern in die Stadt. Hamza K. war am Abend seines Todes erst zwanzig. Schon sein Vater wurde in Hanau geboren. Kalojan V. war bulgarischer Rom. Sein Sohn wird ohne ihn aufwachsen. Vili P. war rumänischer Rom und erst 23. Mit 16 entschied er sich dazu, in Deutschland Geld für die medizinische Behandlung seiner Mutter zu verdienen. Said H., der genau wie sein Bruder in Hanau aufgewachsen war, starb am Abend, während sein Bruder schwer verletzt überlebte. Fatih S. war aus Regensburg in die Stadt gezogen. Und dann starb auch noch die Mutter des Täters.
Ehrlich gesagt finde ich nicht, dass diese Menschen allzu viel eint. Sie haben sich mehr oder weniger zufällig an diesem Abend in Hanau in und um Bars herum aufgehalten. Das, was sie zu Opfern werden ließ, war, dass der Täter ihnen das „fremd sein“ zuschrieb. Dass sie als nicht „weiß“ gelesen wurden.
Der wissenschaftliche Leiter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, hat in einem Interview sehr klare Worte dazu gefunden. „[Der] Anschlag zeigt, dass Hass gegen Minderheiten tödlich ist.“ Menschen, die in Deutschland von Antisemitismus und Rassismus betroffen sind, fragen sich, ob sie hier sicher leben können. Und für einige ist auch das nur noch eine rhetorische Frage und die traurige Antwort schon klar. Es ist daher wichtig, wie wir über diese Tat sprechen. Den Täter hat nicht wirklich interessiert, wer die Menschen, die er umbrachte, waren. Er hat sie rassifiziert, sie wurden für ihn Objekte, denen er das Leben nahm.
Und auch, wenn ich dem Täter nicht allzu viel Zeit widmen möchte, ich wünsche mir, dass wir das Bild des rechten, geistig verwirrten Einzeltäters hinterfragen. Es ist wichtig im Kopf zu behalten, dass sich später oft herausstellt, dass vermeintliche Einzeltäter gut vernetzte Menschen waren und dass rechte Strukturen ihnen den Weg bereiten und rechte Hetze sie aufwiegelt.
Nehmen Sie die Morde des NSU. Nehmen Sie den Mord an Walter Lübcke. Immer gab es hier feste Verbindungen in rechtsextreme Netzwerke. Oder, wenn man sich den versuchten Massenmord in Halle anschaut und mit dem Attentat in Hanau vergleicht: die Täter finden ihre Netzwerke und Vorbilder im Internet. Allein radikalisieren sie sich nicht. Deswegen müssen Strategien gegen Rechtsextremismus und Rassismus ausgeweitet und gestärkt werden. Aufdecken, informieren, entwaffnen, vorbeugen. Demokratie fördern, Betroffene rechter Gewalt schützen und unterstützen. Das bleibt für unsere Behörden, aber auch für uns alle als Individuen unerlässlich.