Rede · Lars Harms · 17.10.2024 Neues Landesaufnahmeprogramm für Êzîdinnen und Êzîden
"Hier werden Menschen zehn Jahre nach einem Völkermord zurück ins Land der Täter geschickt. Wir können das weder mit Blick darauf akzeptieren, welche Gefahren Êzîdinnen und Êzîden bei Rückkehr in ihre Herkunftsländer weiterhin drohen, noch mit Blick darauf, welche Lebensgrundlagen vor Ort auf sie warten."
Lars Harms zu TOP 13 - Neues Landesaufnahmeprogramm für Êzîdinnen und Êzîden (Drs. 20/2465 (neu) und 20/2606)
Wer sind eigentlich Êzîdinnen und Êzîden, diese Frage müssen Mitglieder der Religionsgemeinschaft immer wieder beantworten. Und das, obwohl nach Schätzungen des Zentralrats der Êzîden mehr als 230.000 Zugehörige in Deutschland leben. Damit wäre Deutschland nach dem Irak das zweitgrößte Heimatland für die Angehörigen der religiösen Minderheit. Sie sind eine religiöse Gemeinschaft, die ursprünglich hauptsächlich im Nordirak, der Südtürkei und Nordostsyrien lebte.
In Deutschland sind sie vor allem aber eines: Seit vielen Jahrzehnten ein Teil unserer Gesellschaft. Die ersten Êzîdinnen und Êzîden kamen bereits Ende der 1960er Jahre aus der Türkei über Gastarbeiterabkommen nach Deutschland. Und ich habe mich sehr gefreut zu hören, dass sich in meinem Wahlkreis in Husum eine êzîdische Gemeinde gegründet hat.
Anlass unseres Antrages war folgendes:
Vor gut einem Monat nahm ich an der Fachtagung hier im Landeshaus teil, zu der der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein sowie die Landesbeauftragte für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen zusammen mit Migrationsarbeitsgruppen und vor allem der êzîdischen Community eingeladen hatte.
Die Fachtagung war gleichzeitig auf eine Art und Weise eine Gedenkveranstaltung zum 10. Jahrestag des Genozids an den Êzîdinnen und Êzîden hier bei uns im Landeshaus. Denn im Sommer 2014 starteten IS-Terroristen einen Völkermord an den Êzîdinnen und
Êzîden im Nordirak. Sie fielen ins êzîdische Hauptsiedlungsgebiet ein, töteten Tausende und verschleppten weitere Tausende. Familien wurden getrennt, Mädchen versklavt und verkauft, Jungen in IS-Trainigscamps deportiert. Die systematische sexualisierte Gewalt, die vor allem Frauen und Mädchen erlebten, ist nicht vorstellbar. Der Vernichtungsfeldzug gegen die êzîdische Bevölkerung zog sich über Jahre. Diejenigen, die überlebten, mussten teilweise mehrfach in die Berge fliehen.
Fast zehn Jahre später, am 19. Januar 2023, wurden die Verbrechen des IS an den Êzîdinnen und Êzîden von allen Fraktionen des Bundestages als Völkermord anerkannt.
Und trotzdem erreichten uns seit 2023 verzweifelte Nachrichten und Berichte über Abschiebungen von Êzîdinnen und Êziden. Syrische Mitglieder der êzîdischen Gemeinschaft haben nach wie vor eine hohe Anerkennungsquote. Irakische Êzîdinnen und Êziden hingegen, die als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, müssen neuerdings mit Abschiebungen rechnen.
Für uns als SSW steht fest: das ist nicht zumutbar. Hier werden Menschen zehn Jahre nach einem Völkermord zurück ins Land der Täter geschickt. Wir können das weder mit Blick darauf akzeptieren, welche Gefahren Êzîdinnen und Êzîden bei Rückkehr in ihre
Herkunftsländer weiterhin drohen, noch mit Blick darauf, welche Lebensgrundlagen vor Ort auf sie warten. Oftmals sind das nämlich einfach keine. Es mangelt es an Wohnraum, an Einkommensmöglichkeiten und an einfachster Infrastruktur wie Strom und Wasser.
Zum Antrag der Koalition: Wir freuen uns selbstverständlich, dass Sie sich, ausgelöst durch unseren Antrag, darauf einigen konnten, hier tätig zu werden. Wir hätten uns hier zwar mehr gewünscht und verstehen nicht ganz, warum Sie Ihre Möglichkeiten ausschließlich für bereits hier lebende Êzîdinnen und Êzîden nutzen wollen, anstatt sie für die Möglichkeit des Familiennachzuges zu nutzen, aber wir können Ihrem Antrag selbstverständlich zustimmen. Es ist ein bisschen schade, dass Sie sich nicht zu mehr haben durchringen können. Wir haben ja gar nicht so viel von Ihnen verlangt, sondern nur, dass Sie das nutzen, was Sie ohnehin mal in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hatten. Aber alles, was jetzt geschieht, um Êzîdinnen und Êzîden eine sichere Perspektive zu bieten, findet unsere Unterstützung und ich glaube, da kann ich auch schon für unsere Mitantragsstellerin mitsprechen.
Daher möchte ich abschließend noch einmal ganz besonders den Organisatorinnen und Organisatoren der Veranstaltung im Landeshaus und vor allem den êzîdischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihren Einsatz danken. Wie man sieht, wächst aus derlei Arbeit und bürgerlichen Engagement manchmal eine parlamentarische Initiative, die ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben von Menschen haben kann.
Und am Ende bleibt, dass wir durch unseren Antrag aus der Opposition heraus für Bewegung gesorgt haben. Das ist natürlich gut so. Und nun hoffe ich aber auch, dass das Ganze schnell vonstatten geht und vielleicht lässt sich ja doch noch ermöglichen, dass auch Familiennachzüge ermöglicht werden. Auf jeden Fall ist das heute ein guter Tag für die Êzîdinnen und Êzîden und ein guter Tag für die Humanität!