Rede · Jette Waldinger-Thiering · 17.06.2020 Nägel mit Köpfen machen und das ausbeuterische System ausmerzen
Das System der Fleischindustrie, mit seinen Subunternehmen und Werkverträgen sowie den miserablen Unterkünften, hat über Jahre hinweg eine menschenverachtende Praxis gefahren und das ist einem bundesweiten politischen Versagen anzulasten
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 32, 33 u 34: Schluss mit Werkverträgen in der Fleischindustrie – Gute Arbeitsbedingungen durchsetzen und Prekäre Wohnsituation von Arbeitskräften in Schleswig-Holstein beenden! (Drs. 19/2188, 19/2189 u. 2190)
Nicht erst seit der Corona-Pandemie wissen wir, dass bei uns im Land so einiges schief läuft in Teilen der Fleischindustrie. Schon in 2016 hat der SSW hier im Landtag die teilweise unzumutbaren Zustände kritisiert. Was seinerzeit dort ans Licht der Öffentlichkeit drang hat uns alle empört. Denn die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Fleischindustrie waren und sind für die Beschäftigten unzumutbar. Und wir stellen fest, dass die Selbstverpflichtung der Fleischwirtschaft für attraktivere Arbeitsbedingungen schon damals nicht erfüllt wurde und daher als gescheitert anzusehen ist.
Wir als SSW haben uns in dem Zusammenhang immer für das Konzept der guten Arbeit ausgesprochen. Das bedeutet, gute Arbeit ist auch gut bezahlte Arbeit. Gute Arbeit ist menschengerechte Arbeit, bei der die Arbeitsbelastung begrenzt ist und in Vereinbarkeit mit der Familie stehen muss. Gute Arbeit bedeutet auch, dass es Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten gibt. Und zu guter Letzt bietet gute Arbeit einen effektiven Kündigungsschutz. Instrumente wie Leiharbeit, Werkverträge und Befristungen sollen nur ergänzende Mittel sein. Dementsprechend sind diese Instrumente auch nur in einem begrenzten Umfang zu nutzen, um beispielsweise Spitzenbelastungen abzufangen. Das, was wir hier unter guter Arbeit verstehen, wurde jedoch in Teilen der Fleischindustrie unterlaufen und bereits damals waren in manchen Schlachthöfen bis zu 80% der Mitarbeiter dauerhaft über Werkverträge durch Subunternehmen angestellt. Wie gesagt, das war 2016 und seitdem hat es immer wieder Debatten zu dem Thema hier im Landtag gegeben.
Erst jetzt, durch die Vorfälle in den Schlachtbetrieben im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, bekommt das ganze einen neuen politischen Anstoß. Es erweckt den Eindruck, dass das Kind erst in den Brunnen fallen muss, bevor es auch wirklich dem letzten die Augen öffnet, unter welchen Bedingungen Menschen dort arbeiten und wohnen. Und es ist beschämend, dass solche Verhältnisse über so viele Jahre überhaupt bestehen konnten. Jetzt, wo nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern auch in anderen Bundesländern, derartige Fälle in Schlachtbetrieben zu Tage gekommen sind, diskutieren wir dieses Thema bundesweit. Dabei erstaunt es mich, dass von Seiten der Bundespolitik, zum Teil so getan wurde, als wäre das etwas Neues und niemand es gewusst haben will. Das System der Fleischindustrie, mit seinen Subunternehmen und Werkverträgen sowie den miserablen Unterkünften, hat über Jahre hinweg eine menschenverachtende Praxis gefahren und das ist einem bundesweiten politischen Versagen anzulasten. Wie sonst lässt sich erklären, dass Sozialstandards oder Arbeitsschutzrechte derart unterlaufen und missachtet werden konnten.
Unter der Überschrift: Corona deckt auf, werden nun auf Bundeseben politische Initiativen in Gang gesetzt, um Maßnahmen zu ergreifen, um gegen derartige Beschäftigungs- und Wohnverhältnisse vorzugehen. Und das ist bitter notwendig. Für den SSW kann ich nur sagen, wir werden weiterhin alles dafür tun und uns konstruktiv in den politischen Prozessen beteiligen, die dazu beitragen, dass einem derartigen Vorgehen endlich der Garaus gemacht wird und dass die Menschen endlich in einer würdigen Umgebung arbeiten, leben und wohnen können.
Nicht erst seit heute wissen wir, dass es gerade im Zusammenhang mit Werkverträgen und Sub-Unternehmen gesetzliche Lücken gibt. Es fehlt allein an der gesetzlichen Handhabe, um gegen Missstände vorzugehen. Die Liste der Kritikpunkte ist lang. Wir reden über Verstöße gegen Hygiene-, Abstands- und Arbeitsschutzbestimmungen sowie Verstöße gegen das Mindestlohn- und Arbeitszeitgesetz. Und das bei Unternehmen in Schleswig-Holstein und Deutschland, wo unsere Behörden hilflos daneben stehen und nichts tun können. Das kann nicht sein und darf nicht länger hingenommen werden.
Wir haben innerhalb der EU die freie Beweglichkeit, das ist politisch so gewollt und Betriebe in Deutschland profitieren davon. Dann haben wir verdammt noch mal auch eine Verantwortung diesen Menschen gegenüber, die hier zu uns in Land kommen, um hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Darum brauchen wir endlich die rechtlichen Grundlagen, die den Begriff Arbeitsschutzrecht auch verdienen. Und die vor allem auch nicht länger unterlaufen werden können.
Doch was nutzen die besten Gesetze, wenn sie nicht entsprechend kontrolliert und sanktioniert werden. Hier brauchen wir künftig eine bessere Zusammenarbeit der zuständigen Behörden wie Zoll, Arbeitsschutzverwaltungen, Berufsgenossenschaften sowie die kommunalen Ordnungs- und Gesundheitsämter. Mit der Novelle des Arbeitsschutzgesetzes verfolgt die Bundesregierung das Ziel bessere Kontrollen wirkungsvoller voranzubringen. Dem Eckpunktepapier des Bundesarbeitsministeriums ist unter anderem zu entnehmen, dass angestrebt wird die Überwachungsquote durch die Arbeitsschutzbehörden der Länder verbindlich und deutlich zu erhöhen. Ein Ansatz den wir nur begrüßen können, denn er ist längst überfällig.
Es geht aber nicht nur um die Aushöhlung des Mindestlohnes oder den miserablen Arbeitsschutz, es geht auch um die Unterbringungssituation der Beschäftigten, die zum Teil unzumutbar sind. Die Wohnraumsituation für Beschäftigte der Fleischindustrie war auch schon vor Corona ein Problem. Doch auch hier hat Corona zu einer erneuten Aufdeckung der Missstände beigetragen. Überbelegung, Zweckentfremdung oder auch verwahrloster Wohnraum, das sind die Schlagworte, wenn wir an die Unterkünfte denken, in denen die Mitarbeiter der Schlachtbetriebe teilweise untergebracht sind. Es sind unzumutbare Zustände, denen die Menschen dort ausgesetzt sind. Massenunterkünfte, die keine Privatsphäre zulassen und die aktuell keine Abstandsregelungen ermöglichen. Das sind die Zustände, die wieder einmal vorgefunden wurden. Schlimm genug, dass die Menschen in derart unwürdigen Wohnungen untergebracht wurden, doch sie hatten dort nicht einmal die Chance, entsprechend der Corona-Regelungen Abstände einzuhalten. Wer das zu verantworten hat, handelt in meinen Augen grob fahrlässig. Auch das überhöhte Mieten zum Teil direkt vom Lohn abgezogen wurde, erschüttert mich. Wo gibt’s denn sowas?
Der SSW hat bereits in 2018 hier im Landtag einen Entwurf für ein Wohnraumschutzgesetz eingebracht, um entsprechend gegen schwarze Schafe der Vermieterbranche vorgehen zu können. Damit wollten wir den Kommunen ein Instrument an die Hand geben, die vor Ort mit eben solchen Problemen befasst sind, damit sie dagegen angehen können. Wie wir wissen, wurde unser Gesetzentwurf von Jamaika abgelehnt, ohne dass dem etwas Adäquates entgegengesetzt wurde. Wir haben schon damals über die Wohnraumsituation in Kellinghusen diskutiert, im Zusammenhang mit dem dortigen Schlachtbetrieb.
Anscheinend haben die Grünen nun auch endlich das Problem erkannt und sind gewillt über ein Wohnraumschutzgesetz nachzudenken. Das ist durchaus lobenswert, hätte aber schon viel früher passieren müssen. Nichts desto trotz, sage ich in Richtung der Grünen: Ihr könnt unseren Entwurf gerne auf Wiedervorlage legen, es hat die Drucksachennummer 19/721. Ich wünsche dem Kollegen Knuth viel Erfolg und Überzeugungskraft bei den Koalitionspartnern – und das meine ich ernst.
Wie bereits gesagt: Corona deckt auf und wir stellen fest, dass wir es hier mit einem bundesweiten Systems zu tun haben, das darauf ausgerichtet ist billige Arbeitskräfte ins Land zu holen, sie hier arbeiten zu lassen unter Umgehung der geltenden Hygiene-, Abstands- und Arbeitsschutzregeln sowie unter Missachtung des Mindestlohn- und Arbeitszeitgesetzes. Denen dann auch noch teures Geld für miserable Unterkünfte abgezogen wird.
Das Problem war seit Jahren bekannt. Immer wieder wurde daran herumgedoktert und immer wieder haben findige Personen die Lücken im Gesetz entdeckt, sodass eine rechtliche Handhabe fehlt, um dagegen vorgehen zu können. Lasst uns nicht länger warten und endlich Nägel mit Köpfen machen und das ausbeuterische System ausmerzen. Die Zeit für Parteiengeplänkel auf dem Rücken der Beschäftigten ist vorbei.