Rede · Jette Waldinger-Thiering · 16.10.2024 Menschen in Not nicht gegeneinander ausspielen

„Wir dürfen nicht diejenigen bestrafen, die unter schwierigsten Bedingungen Hilfe suchen. Wir müssen diesen Frauen sichere Schutzräume bieten, in denen sie Zeit bekommen, um ein neues Leben zu organisieren.“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 15 - Umstiegsberatung in Schleswig-Holstein weiterführen (Drs. 20/2468 (neu))

Das Beste an diesem Antrag ist aus meiner Sicht, dass wir uns über alle Fraktionen hinweg einig sind, dass wir die Umstiegsberatung weiter fördern müssen. Das Zweitbeste ist, dass es etablierte Beratungsstrukturen gibt. Es ist unsere Aufgabe, diese durch eine auskömmliche Finanzierung zu sichern. Alles andere an diesem Thema ist eher wenig erfreulich und wirft in weiten Teilen kein gutes Licht auf unsere Gesellschaft. Denn seien wir ehrlich: eine Umstiegsberatung benötigen ja nicht primär diejenigen Sexarbeiterinnen, die diesem Beruf legal, aus freien Stücken und auf eigene Rechnung nachgehen. Sondern eben diejenigen, die aus unterschiedlichen Notsituationen heraus in der Prostitution gelandet und dann hängen geblieben sind. Aus Mangel an Alternativen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Aus Angst, weil sie in der Illegalität leben und fürchten aus Deutschland ausgewiesen zu werden. Oder eben aus Angst, ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten zu können, weil ihnen keine Sozialleistungen zustehen. Immerhin ca. 80 Prozent aller Sexarbeiterinnen kommen aus dem Ausland, viele von ihnen aus Osteuropa. Ist die Arbeit weg, ist auch das Aufenthaltsrecht weg. Gerade darum ist es so wichtig, diesen Frauen ein niedrigschwelliges Angebot zu machen. Wichtig ist vor allem, dass die Frauen davon erfahren, dass es solche Angebote gibt. 
Nur mit einer auskömmlichen Finanzierung können die Beratungsangebote vor Ort präsent sein und auch ausreichend qualifizierte Beraterinnen, auch mit unterschiedlichen Muttersprachen, vorhalten. 
Es ist schade, dass der Abschlussbericht des aus Bundesmitteln finanzierten Projektes AQUA noch nicht vorliegt. Dieser hätte wertvolle Hinweise für die Arbeit der Beratungsstellen liefern können. Denn am Ende sind es leider nur recht wenige, die sich an eine Beratungsstelle wenden, weil sie aus der Prostitution aussteigen wollen. Gerade die Frauen aus Osteuropa, die, das gehört ja auch zur Wahrheit, längst nicht immer freiwillig hier sind, sind sicherlich schwer mit solchen Beratungsangeboten zu erreichen. Ebenso diejenigen, die ohnehin in der Illegalität leben und arbeiten. Gerade, um auch diese Frauen erreichen zu können, braucht es neben der Beratung auch Schutzwohnungen. 
Denn nur, wer sicher wohnen kann, ist auch frei in seinen Entscheidungen. Das fehlende Dach über dem Kopf, die Angst vor Ausweisung aus Deutschland, darf die Frauen nicht dazu zwingen, weiter als Sexarbeiterinnen tätig zu sein. Wir dürfen nicht diejenigen bestrafen, die unter schwierigsten Bedingungen Hilfe suchen. Wir müssen diesen Frauen sichere Schutzräume bieten, in denen sie Zeit bekommen, um ein neues Leben zu organisieren. Und gerade hier konkurrieren die Frauen natürlich auch mit denjenigen, die Schutzwohnungen benötigen, weil sie von Gewalt betroffen sind und mit denen, die Wohnraum benötigen, um Obdachlosigkeit zu verhindern oder zu beenden. 
Das aber können wir uns, auch bei knappen Kassen, nicht leisten: Menschen in Not gegeneinander auszuspielen. Noch immer leben wir in einem der reichsten Länder der Welt, da müssen wir den Schwächsten den Schutz bieten können, den sie brauchen. Alles andere ist unwürdig. 
Denn machen wir uns nichts vor: die Sexarbeit ist ein gefährlicher Beruf, der oft eng mit kriminellen Milieus verknüpft ist, das Risiko von ansteckenden Krankheiten birgt und wo auch Gewalt leider kein Einzelfall ist. Und eben das ist es, was uns gesellschaftlich nicht gut zu Gesicht steht: dass so viele Menschen es legitim finden, Sex zu kaufen. Als wäre das ein Haarschnitt bei Friseur. Darum ist jede Frau, die aussteigt, ein Erfolg. Umso mehr freue ich mich, dass wir diesen Antrag gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Wir dürfen hier nur nicht nachlassen, auch wenn die Spielräume im Haushalt kleiner werden. 

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