Rede · 24.01.2019 Mehr Experimentierfreude und weniger Appelle

Flemming Meyer zu TOP 11 - Fachkräfteinitiative des Landes (Drs. 19/1075)

„Schleswig-Holstein benötigt neue Strukturen in der Ausbildung, durch Teilzeitangebote oder berufsbegleitend; die schnelle und unbürokratische Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und nicht zuletzt Angebote an Beschäftigte von Werksvertragsfirmen zur Qualifikation.“

(019-2019) Fachkräftemangel äußerst sich nicht erst in freien Stellen, sondern schon in den Betrieben selbst, in Form von Überstunden oder durch Qualitätseinbußen. So hatte ich bei meinem letzten Besuch der Flensburger Werft ein Werkstück mit einer völlig verkorksten Schweißnaht in der Hand. So etwas muss man einmal gesehen haben: das war keine Naht, sondern eine dicke Wulst. Die Qualitätskontrolle hatte das schlecht gemachte Stück moniert. Es musste komplett herausgetrennt und ein neues Teil verschweißt werden. Das Stück war von einem Beschäftigten einer Werksvertragsfirma geschweißt worden. Die Firmen sind für bestimmte Fertigungsabschnitte angeheuert und sollen die Stammbelegschaft unterstützen. Wenn aber die entsprechende Ausbildung und Erfahrung der Leiharbeiter fehlt, dann muss nachgearbeitet werden und Termine geraten ins Rutschen. So mussten allein beim letzten Neubau sehr viele Meter Schweißnaht noch einmal geschweißt werden. 

Hier zeigt sich: Fachkräftemangel lässt sich nicht allein mit Geld oder Beratung beheben. 
Der Wirtschaftsminister formuliert auf seiner Homepage das Handlungsfeld 4, also Fachkräftebindung stärken. Ich zitiere: „Zukünftig wird es für die Unternehmen in einem noch stärkeren Maße darum gehen, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und an einen Betrieb zu binden.“ Wenn es aber Werksfirmen gibt, die zu Mindestlohn hoch-qualifizierte Arbeit versprechen und die Stammbelegschaften in der gesamten deutschen Werftindustrie schrumpft, kann von Bindung keine Rede sein. Im Gegenteil: die gut Qualifizierten sehen sich bei steigender Arbeitsbelastung nach besseren Arbeitsbedingungen in anderen Betrieben um. Wen soll man da jetzt beraten? Die Betriebe, die ihre Beschäftigten offensichtlich gar nicht binden wollen oder die Beschäftigten, die die Konkurrenz durch Billigheimer jeder Tag ausbaden müssen?

So viel Ehrlichkeit muss sein: die Politik kann die Wirtschaft ermutigen, ermahnen oder auch mal belohnen; die Aus- und Weiterbildung und die Wertschätzung der Fachkräfte muss aus den Betrieben selbst kommen. Viele Handwerksbetriebe bilden aus, bemühen sich um die Unterstützung von Auszubildenden, wenn es in der Berufsschule hapert und stärken die Facharbeiterquote. Viele große Industriebetriebe machen sich diese Mühe nicht.

Es muss sich etwas an den Strukturen verändern. Das mussten auch Restaurants und Hotels erst lernen. Eine fachlich gute Ausbildung reicht heutzutage nicht aus: die zukünftigen Köche oder Restaurantfachkräfte wollen auch gute Arbeitszeiten, ausreichende Entlohnung und interessante Karrierechancen, sonst müssen Küchen eben tageweise schließen oder Hotels viele Zimmer stilllegen. Einige Betriebe haben inzwischen die Zeichen der Zeit erkannt. Das ist wichtig für den gesamten Standort; ansonsten wandern die Gut-Qualifizierten ab; schließlich ist Hamburg nahe. 

Was kann also die Politik tun? Sie muss handfeste Maßnahmen ergreifen; die Fachkräfteinitiative darf sich nicht nur auf Bestandsaufnahmen, Appelle und  aufs Standortmarketing  beschränken, wie das in den Handlungsfeldern 1, 2 und 5 der Fachkräfteinitiative geschieht. Schleswig-Holstein benötigt neue Strukturen in der Ausbildung, durch Teilzeitangebote oder berufsbegleitend; die schnelle und unbürokratische Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und nicht zuletzt Angebote an Beschäftigte von Werksvertragsfirmen zur Qualifikation. Arbeitszeitmodelle müssen flexibler werden, um auch Beschäftigten mit familiären Verpflichtungen Karieren zu eröffnen. Doch überall hier hapert es. Ich würde mir mehr Experimentierfreude wünschen und weniger Appelle.

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