Rede · Christian Dirschauer · 16.10.2024 Konkretes Handeln statt Sonntagsreden

„Wir müssen uns viel stärker bewusst machen, was es für Menschen mit Behinderungen bedeutet, wenn wir nicht endlich ins konkrete Handeln kommen: Nämlich nicht die gleichen Chancen auf Bildung, auf Arbeit und ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben!“

Christian Dirschauer zu TOP 29 - 15 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention - Noch ist viel zu tun (Drs. 20/2581)

Wie bei vielen anderen Themen, kann auch der Umsetzungsstand der UN-BRK je nach Perspektive völlig unterschiedlich gedeutet werden. Auf den Seiten der Landesregierung sehen wir Bilder von Gebärdendolmetschenden bei Pressekonferenzen oder von Menschen im Rollstuhl, die ganz selbstverständlich an Sitzungen teilnehmen. Es werden viele Maßnahmen erwähnt, die bereits ergriffen wurden und wir können von über 16 Millionen Euro lesen, die die Landesregierung in den vergangenen Jahren im Rahmen des Fonds für Barrierefreiheit bereitgestellt hat. Auf der anderen Seite fällt die Beurteilung des für die Prüfung der Staaten zuständigen UN-Ausschusses aber ziemlich mau aus. Denn in seinen abschließenden Bemerkungen wird unmissverständlich darauf hingewiesen, dass Deutschland in den Bemühungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zurückfällt. 
Besonders alarmierend ist aus meiner Sicht die Einschätzung, nach der die Dynamik der Umsetzung auf allen Ebenen, und damit eben sowohl in Bund, Ländern und Kommunen, deutlich nachgelassen hat. Noch dazu wird betont, dass die Ziele der UN-BRK auch in der Abwägung unterschiedlicher politischer Prioritäten spürbar an Gewicht verlieren. Alarmierend ist das vor allem deshalb, weil doch allen klar sein muss, dass Menschen mit Behinderungen in Schule, Arbeitswelt und Freizeit noch immer auf viel zu viele Barrieren stoßen. Bei allen laufenden Maßnahmen und so manchem unstrittigen Erfolg auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft muss deshalb eins klar sein: Wir können und wir dürfen in diesem Prozess nicht nachlassen oder uns mit dem bisher Erreichten zufriedengeben. Im Gegenteil: Gerade wir hier im politischen Raum müssen mit gutem Beispiel vorangehen und alles daransetzen, um Menschen mit Behinderungen zu all Ihren Rechten zu verhelfen!
Wenn wir ehrlich sind, dann ist doch nicht nur längst klar, dass wir tatkräftiger handeln müssen, um die Ziele der UN-Konvention zu erreichen. Auch die Frage nach geeigneten Schritten hin zur Erreichung dieser Ziele ist eigentlich längst beantwortet. Der vorliegende Antrag von SPD und SSW benennt hier wesentliche Maßnahmen. Auch die Beauftragte und unzählige Betroffene weisen immer wieder auf diese hin. Es geht um ein inklusives Bildungssystem, und zwar beginnend bei den Kleinsten und bis in unsere Hochschulen. Dafür müssen wir in den Bildungseinrichtungen ein wirklich inklusives Lernumfeld schaffen. Es geht aber auch um umfassende Teilhabe, um Partizipation nicht zuletzt auch auf politischer Ebene und um ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben für alle Mitglieder dieser Gesellschaft. Hierfür müssen wir endlich eine effektive und eben auch umfassende Unterstützung für Menschen mit Behinderungen organisieren. 
Wenn man sich die Dimensionen dieser Aufgabe vor Augen führt, ist klar, dass es um weit mehr als nur um eine Ressourcenfrage geht. Natürlich ist die gesamte Gesellschaft gefordert und ein echter Paradigmenwechsel notwendig. Aber weil es eben oftmals auch um ganz konkrete Nachteilsausgleiche geht, müssen wir hier auch über die finanzielle Unterstützung von Menschen mit Behinderungen reden. Und wenn ich ehrlich bin, dann zweifle ich stark daran, dass ein Bundesteilhabegeld oder irgendeine einheitliche Form eines Teilhabegelds kommt. Deshalb halten wir vom SSW an unseren Forderungen nach einem erhöhten Blinden- und einem Gehörlosengeld fest. Und wir werden diese absolut notwendigen Leistungen für blinde, sehbehinderte und gehörlose Menschen selbstverständlich auch für den kommenden Haushalt beantragen. 
Bekanntlich wollen uns die Regierenden in dieser Sache nicht folgen, was nicht nur aus Sicht der Betroffenen, sondern auch als Signal sehr schade ist. Trotzdem hoffe ich, dass wir uns in der Analyse einig sind: Auch 15 Jahre nach Inkrafttreten der UN-BRK wird auch hier in Schleswig-Holstein noch viel zu stark an bestehenden Sonderstrukturen festgehalten. Bis heute gibt es für viele Menschen mit Behinderungen faktisch kein Wunsch- und Wahlrecht. Ob in der Bildung, der Arbeitswelt oder beim Thema Wohnen: Sie sind viel zu oft gezwungen, ihr Leben in Sondereinrichtungen zu verbringen, weil ihnen keine guten inklusiven Alternativen geboten werden. 
Es reicht also offensichtlich nicht, wenn wir hier viel und leidenschaftlich über Inklusion diskutieren. Wir müssen endlich in die konsequente Umsetzung kommen und uns noch viel stärker bewusst machen, was es für diese Menschen bedeutet, wenn wir das nicht schaffen. Nämlich nicht die gleichen Chancen auf Bildung, auf Arbeit und ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben. Oder ganz konkret: Nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, sein Kind mit Behinderung in einer adäquaten und wohnortnahen Kita betreuen zu lassen. Geringere Chancen auf einen höheren Schulabschluss, der vielleicht aufgrund der persönlichen Fähigkeiten möglich wäre. Und im Zweifelsfall kein Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu dem Job, für den man eigentlich qualifiziert wäre. Und damit eben auch kein Leben in Eigenständigkeit, das man sich oder seinem Kind wünscht. Und das kann nun wirklich nicht unser Anspruch sein!

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