Rede · 19.06.2019 Konkrete Schritte sind wichtiger als eine Verfassungsbestimmung

Nur im Verbund – Verfassungsbestimmung und gesetzliche Regelungen zugunsten der Mieter – wird sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt nachhaltig für Mieterinnen und Mieter verbessern

Lars Harms am Meer

Lars Harms zu TOP 13 und 42 - Volksinitiative für bezahlbaren Wohnraum (Drs. 19/1521)
   
Ganz klar unterstützt der SSW das Recht auf eine angemessene Wohnung. In den Debatten der Verfassungskommission vor einigen Jahren stand dieses Prinzip bereits auf der Tagesordnung. Damals haben wir ausführlich über den Vorschlag debattiert, dem Recht auf Wohnraum Verfassungsrang einzuräumen. So verlockend ein Grundrecht oder Staatsziel klingt, so wenig ist damit in der Wirklichkeit zu bewegen. Schafft man ein Staatsziel, so ist dessen Umsetzung unverbindlich, schafft man ein Grundrecht, so muss der Staat Zugriff auf allen Wohnraum haben. Das eine ist unbefriedigend, das andere ist illusorisch. Aus einem Staatsziel, und um ein solches würde es sich handeln, erwächst kein Individualrecht auf eine angemessene Wohnung, das bei Auseinandersetzungen beispielsweise zwischen Mieter und Vermieter in Stellung gebracht werden kann. Das Recht auf eine angemessene Wohnung ist nicht durchsetzbar. Wenn wir das nicht von Anfang an deutlich kommunizieren, verletzen wir als Abgeordnete unsere Pflicht zur Klarheit und Transparenz. Darum hat sich damals die Verfassungskommission gegen den Antrag ausgesprochen.
Unsere Bedenken haben sich seitdem nicht geändert. Wir versuchen stattdessen mit konkreten Maßnahmen die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern. Darum hat der SSW ein Wohnraumschutzgesetz vorgelegt. Leider fand sich bislang keine Mehrheit für unseren Vorschlag, die Rechte der Mieterinnen und Mieter gegenüber Investoren oder Wucherern durchzusetzen. Vernachlässigte Wohnungen, die systematisch nur einem Ziel dienen, und zwar dem maximalen Profit eines Investors, bieten weder Heimat noch Sicherheit. Wenn defekte Türen nicht repariert werden und der Fahrstuhl monatelang nicht funktioniert, haben die Mieterinnen und Mieter bislang überhaupt keine Handhabe gegen ihren Vermieter. Sie können ihre Miete kürzen; aber eine Renovierung können sie nicht erzwingen. Dieses Machtungleichgewicht ist in Zeiten knappen Wohnraums ein großes Problem. Wer mit Wohnraum spekuliert und Leerstand bewusst einkalkuliert, hat bislang nicht mit Konsequenzen zu rechnen. Mietwucherer, die sich gezielt an Arbeitslosen schadlos halten, sind der Arbeitsagentur durchaus bekannt, eine Handhabe haben sie aber damit noch lange nicht. Diese Probleme wollen wir angehen. Konkret und umgehend. Allein in Flensburgs Innenstadt gibt es mehrere hundert potenzielle Wohnungen, die nicht instandgesetzt werden. Und die Kommune muss tatenlos zusehen. Das wollen wir immer noch ändern. 
Das ist das Ziel. Auch das Ziel der Volksinitiative.
Allerdings: Dem Rechtsanspruch auf angemessenen Wohnraum einfach mal so einen Verfassungsrang einzuräumen, ist nur ein Sieg auf dem Papier. Er simuliert eine Kehrtwende, schafft aber keine einzige, neue Wohnung.
Ich habe bereits im letzten Jahr auf die besondere Situation der Wohnungslosen hinwiesen. Die sind meist aus einer Wohnung geflogen. Gerade bei vielen jungen Menschen wurde die Wohnung aber gar nicht geräumt. Sie haben sich verliebt, sind zur Freundin oder Freund gezogen und haben ihre eigene Wohnung gekündigt, ohne sich im Mietvertrag eintragen zu lassen oder sich im Rathaus anzumelden. Bei Krisen stehen sie dann blitzschnell auf der Straße. Ohne feste Adresse finden sie aber keine neue Wohnung. Sie sind damit die schwächste Mietergruppe, die sich auf dem derzeitig sehr angespannten Markt für bezahlbaren Wohnraum mit weitem Abstand hinten anstellen muss. Wer einmal mit einem ehemaligen Wohnungslosen gesprochen hat, ahnt, was eine eigene Wohnung bedeutet. Die eigene Tür selbst abschließen zu können, ist für diesen Personenkreis ein lang entbehrter Luxus. Tatsächlich können Wohnungslose mit einem Verfassungsziel überhaupt nichts anfangen. Das Beispiel dieser Mietergruppe zeigt, dass konkrete Maßnahmen einer erneuten Verfassungsdebatte vorzuziehen sind. Das gilt im Übrigen auch für andere Gruppen wie  Alleinerziehende, für ältere Mieter mit Behinderungen oder Beschäftigte einer Werksvertragsfirma. Diese Erkenntnis habe ich unter anderem durch die Arbeit in der Verfassungskommission in der letzten Wahlperiode gewonnen. Nur konkrete Maßnahmen können die Nachfrage nach Wohnungen befriedigen. Dabei muss es nicht zwangsläufig immer ein Neubau sein, sondern es kann auch die Instandsetzung vernachlässigter Häuser oder die Erleichterung des Ausbaus von Dachgeschosswohnungen sein. In vielen dörflichen Ortskernen stehen Häuser leer, weil sie erheblichen Renovierungsbedarf haben oder weil sie nicht altersgerecht gebaut sind. Hier kann die Landesregierung mit Förderprogrammen Bauherren unterstützen, Wohnraum zu schaffen und zu erweitern. 
Wer sich aber mit der Staatszielformulierung zufrieden gibt, kapituliert meines Erachtens vor der derzeitigen Situation. Wir brauchen mehr als ein Staatsziel auf angemessenen Wohnraum. Deshalb sind wir bei aller Skepsis grundsätzlich für die weitere Diskussion offen. Das Anliegen der Volksinitiative unterstützen wir zu 100 Prozent. Ich bleibe aber davon überzeugt, dass konkrete Schritte wichtiger sind als eine Verfassungsbestimmung und dass wir uns darum in den folgenden Wochen auf konkrete Maßnahmen einigen sollten. Nur im Verbund – Verfassungsbestimmung und gesetzliche Regelungen zugunsten der Mieter - wird sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt nachhaltig für Mieterinnen und Mieter verbessern.

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