Rede · 26.04.2013 Kommunales Wahlrecht auch für Nicht-EU Bürgerinnen und Bürger


Man stelle sich das einmal vor: da wird in einem Maschinenbaubetrieb ein Betriebsrat gewählt, und die türkischen Kollegen dürfen sich nicht beteiligen, weil sie keine EU-Bürger sind. Sie können also nicht wie die anderen im Betrieb mitbestimmen, obwohl sie die gleiche Arbeit machen. Das klingt absurd und ist es dank der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes auch. Und das nicht erst seit gestern oder vorgestern. Das Betriebsverfassungsgesetz hob bereits am 15. Januar 1972 die Diskriminierung der Ausländer auf in Sachen betrieblicher Mitbestimmung auf. Seitdem heißt es in § 7: „Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 18. Lebensjahr vollendet haben.“ So einfach geht das – und das schon seit vierzig Jahren. Das Prinzip: derjenige, der betroffen ist, soll mitbestimmen können, wird seit mehr als vier Jahrzehnten erfolgreich in der betrieblichen Praxis angewandt. Kritik an dieser Regelung kenne ich nicht. Sie ist etabliert und selbstverständlicher Teil der Arbeitswelt.
Genau das fordern wir nun auch für die kommunale Ebene. Die absurde Unterscheidung nach dem Pass muss aufhören. Und dabei sollte es eben keine Rolle spielen, ob ein Husumer nun einen norwegischen oder schwedischen Pass hat!
Bereits 1990 hatten wir ein entsprechendes Gesetz zur Kommunalwahl in Schleswig-Holstein, das zuließ, dass alle Bürger einer Stadt oder eines Dorfes auch dort wählen können. Damals kassierte das das Bundesverfassungsgericht das Gesetz ein, und zwar mit dem Verweis darauf, dass das Volk im Sinne des Grundgesetzes auf allen staatlichen Ebenen allein aus deutschen Staatsangehörigen bestehe. Die Ausländer sollten also schleunigst die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Das war damals bekanntlich gar nicht so einfach. Darum wiesen die Verfassungsrichter auf eine entsprechende Grundgesetzänderung hin, um Wahlrecht und Staatsangehörigkeit zu entkoppeln. Dieses Signal zur Grundgesetzänderung griffen einige Initiativen auf, scheiterten aber zuletzt 2007.
Zwischenzeitlich erhielten allerdings die EU-Bürger das kommunale Wahlrecht, weil das in allen EU-Staaten so gehandhabt wurde. Das Prinzip der Gegenseitigkeit führte zu einer entsprechenden Grundgesetzänderung. Artikel 28 gewährt ausdrücklich bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden denjenigen das passive und aktive Wahlrecht, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen.
Darüber hinaus hat die Direktwahl zum EU-Parlament eine weitere Änderung gebracht. Die 99 deutschen Europaabgeordneten, die deutsche Interessen im Europa-Parlament vertreten, werden von allen Erwachsenen gewählt, die in Deutschland wohnen, unabhängig von ihrem Pass. Die einzige Einschränkung: es muss ein Pass eines der EU-Staaten sein.
Damit wurde die Bastion der „demokratiewidrigen Fremdbestimmung“, die einige Konservative immer noch im Wahlrecht für Nicht-Deutsche ausmachen, nach Meinung aller Demokratieforscher ziemlich sturmreif geschossen. Seit der Verfassungsgerichtsentscheidung 1990 sind wir in das transnationale Rechtssystem der EU eingebunden, das ziemlich weitgehende Gesetzgebungskompetenzen hat. Das wird ihnen jeder Schleswig-Holsteiner sofort bestätigen. Diese eingeführte Praxis hat Konsequenzen auch für die kommunale und auch für die Landesebene. Es sind nämlich keine Gründe zu erkennen, warum das Wohnsitzprinzip nicht auch bei anderen Wahlen gelten soll.
In der Kommunalpolitik ist das doch rechtlich ganz einfach; schließlich erlassen Kreistage keine Gesetze und Gemeindevertretungen schon gar nicht. Wir haben es auf der kommunalen Ebene mit einer Selbstverwaltung zu tun, die alle betrifft, die dort wohnen, und deshalb auch von allen mitbestimmt werden sollte.
Auf der Landesebene sieht das anders aus. Bisher galt für eine gesetzgebende Versammlung – wie zum Beispiel dem Landtag – dass das Wahlrecht zu dieser Versammlung nur für die Staatsbürger vorbehalten sei. Ob diese Rechtsauffassung aufrecht erhalten werden kann, ist zumindest fraglich, seitdem EU-Bürger deutsche Abgeordnete in das EU-Parlament entsenden können. Denn diese Abgeordneten haben durchaus mit der Gesetzgebungskompetenz unseres Landtages vergleichbare Befugnisse. Salopp gesprochen kann man sogar sagen, dass EU-Direktiven und EU-Verordnungen oft tiefgreifendere Auswirkungen auf das Leben und auf das Rechtssystem bei uns haben als es sich manch einer eingestehen will. Und deshalb ist es eben auch fraglich, ob dann nicht auch EU-Bürger den Landtag mit wählen können, wenn sie durch ihre Stimme für ihre Europaabgeordneten auch schon einen hohen gesetzgeberischen Einfluss ausüben können.
Ich bin sehr optimistisch, dass sich in einem ersten Schritt das kommunale Wahlrecht für Bürger aus so genannten Drittstaaten durchsetzen wird. Und dann werden wir sehen, ob ein Wahlrecht zum Landtag für EU-Bürger auch möglich wird. Der SSW würde dies begrüßen.

Weitere Artikel

Pressemitteilung · Christian Dirschauer · 19.12.2024 Christian Dirschauer: LNG ist und bleibt eine Sackgasse

Zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen die FSRU-Anlage in Wilhelmshaven abzuweisen, erklärt der energie- und umweltpolitische Sprecher der SSW-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Christian Dirschauer:

Weiterlesen

Rede · Sybilla Nitsch · 13.12.2024 Bürokratie-Entlastung für Schaustellerbetriebe überfällig

„Vor allem würden die Änderungen für die Schaustellerbranche einen entscheidenden Unterschied machen, damit nicht nur Besucherinnen und Besucher etwa bei künftigen Weihnachtsmärkten ein Lächeln im Gesicht haben, sondern vor allem auch die Schaustellerinnen und Schausteller bei uns im Land.“

Weiterlesen

Rede · Jette Waldinger-Thiering · 13.12.2024 Wir brauchen eine zeitgemäße Regelung für Schwangerschaftsabbrüche

„Und auch die vorgelagerte Verantwortung für die Verhütung überlassen wir den Frauen allein. Auch das ist eine Forderung aus dem Kommissionsbericht: Verhütungsmittel müssen kostenlos sein, für alle! Es kann und darf nicht sein, dass Frauen ungewollt schwanger werden, weil sie nicht genug Geld für Verhütungsmittel haben.“

Weiterlesen