Rede · Christian Dirschauer · 20.06.2024 Kinderkriegen wird für viele zum Armutsrisiko

„Sowohl Basiselterngeld, Elterngeld Plus oder Partnerschaftsbonus sind faktisch mit Einkommensverlusten verbunden. Diese Angebote zu nutzen, muss man sich leisten können. Und weil das eben längst nicht alle Familien können, wird im Zweifel der- oder eben diejenige mit dem geringeren Einkommen zuhause bleiben.“

Christian Dirschauer zu TOP 10 - Mehr Zeit für Familien – Familienstartzeit einführen (Drs. 20/2112)

Auch aus meiner ganz persönlichen Erfahrung heraus kann ich bestätigen, dass Familien mehr Zeit oder auch „Zeitgerechtigkeit“ brauchen, wie es die SPD hier formuliert. Der Anspruch, familienfreundlichstes Bundesland sein zu wollen, wird zwar von allen Landesregierungen regelmäßig erneuert. Aber Tatsache ist, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bis heute für viele Menschen in Schleswig-Holstein schwierig bleibt. Wenn wir ehrlich sind, dann können es sich nur die wenigsten leisten, zum Vorteil der Kinder oder auch pflegender Angehöriger längerfristig Arbeitszeit zu reduzieren und damit auf Einkommen zu verzichten. Außerdem ist völlig richtig, dass Care-Arbeit bis heute weit überwiegend von Frauen und nicht etwa von Männern geleistet wird. Damit stehen wir also auch heute, im Jahr 2024, noch immer vor ungleichen Chancen beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder für die persönliche Karriere.

Wenn ich mit anderen Eltern oder auch Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen spreche, wird eines immer wieder deutlich: Diese Herausforderungen rund um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder familialer Pflege werden eher größer als kleiner. Denn nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender Preise wird nicht nur die Pflege von Angehörigen, sondern leider auch das Kinderkriegen für viele zu einem wachsenden Armutsrisiko. Angesichts solcher Realitäten ist das, was SPD aber auch CDU und Grüne hier beantragen, natürlich folgerichtig. Gar keine Frage: Die EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben muss zügig und vor allem vollständig umgesetzt werden. In diesem Punkt können wir beiden Anträgen nur zustimmen.

Ich will ganz ehrlich sein: Ein zehn Tage bezahlter Vaterschaftsurlaub kann bestimmt dazu führen, dass Väter früher und damit auch gleichberechtigter Verantwortung übernehmen. Doch mir drängt sich da direkt die Frage auf, was denn danach kommt? Bisher jedenfalls nicht viel. Denn die Freistellung im Rahmen der Elternzeit ist bekanntlich unentgeltlich, wenn die Zahlung von Elterngeld erstmal ausgelaufen ist. Und so gut gemeint diese familienpolitischen Leistungen auch sind: Sowohl Basiselterngeld, Elterngeld Plus oder Partnerschaftsbonus sind faktisch mit Einkommensverlusten verbunden. Diese Angebote zu nutzen, muss man sich leisten können. Und weil das eben längst nicht alle Familien können, wird im Zweifel der- oder eben diejenige mit dem geringeren Einkommen zuhause bleiben. Oder Familien verzichten komplett, weil das Budget schlicht zu knapp ist.

Mir ist absolut bewusst, dass es bei diesem Thema um mehr als nur um Geld geht. Aber ich will damit sagen, dass die Forderung nach einem solchen bezahlten Vaterschaftsurlaub zwar ein wichtiger Punkt ist, aber eben nur ein Teil der Lösung sein kann. Wenn wir wirklich mehr gleichberechtigte Familienzeit und nicht nur Startzeit wollen, brauchen wir weitere Maßnahmen. Und zwar vor allem mit Blick auf den Arbeitsmarkt selbst. Denn hier fehlt es noch viel zu oft an familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen. Und es fehlt häufig eben auch ganz grundsätzlich an der notwendigen Flexibilität, um sich einerseits im Job weiterentwickeln und trotzdem für die Familie da sein zu können.

Statt solchen Appellen zu folgen, fordert die Arbeitgeberseite in Zeiten des Fachkräftemangels natürlich vor allem bessere Betreuungsmöglichkeiten. Doch so wichtig gute und verlässliche frühkindliche Bildungsangebote auch sind: Ich verstehe die vorliegenden Initiativen anders. Es geht nicht in erster Linie darum, dem Arbeitsmarkt trotz Kindern möglichst uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen. Sondern es geht darum, zu ermöglichen, dass Menschen mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Und hierfür braucht es nun mal bessere Arbeitszeitmodelle, die Eltern und Kindern auch mal gemeinsame Ferien ermöglichen. Und es braucht zum Beispiel familienfreundlichere Regelungen bei den Kinderkrankentagen und perspektivisch auch weitergehende Lohnersatzleistungen. Denn eins ist sicher: Wir können als Gesellschaft nicht hinnehmen, dass Paare auf Kinder verzichten, weil sie sie sich nicht leisten können.

 

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