Rede · Christian Dirschauer · 12.12.2024 Keine Low Budget-Lösungen in der Pflege
„Es fehlen konkrete Maßnahmen, wie die Armut im Alter als Folge von jahrelanger, unbezahlter Pflege vermieden wird. Immer noch büßen vor allem Frauen in Deutschland für die Pflege, weil ihnen Beitragsjahre für die Altersrente fehlen. Eine Lösung ist leider nicht in Sicht.“
Christian Dirschauer zu TOP 21 - Maßnahmenpaket zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung in Schleswig-Holstein (Drs. 20/2729)
Vielen Dank für den Antrag, der uns die Gelegenheit eröffnet, die Pflege als meiner Ansicht eines der wichtigsten Zukunftsthemen zu besprechen. Grundlage dieser Debatte ist das Papier der Landesregierung, in dem das so genannte erste Maßnahmenpaket zur Sicherstellung der Pflege vorgestellt wird. Reichlich spät zur Mitte der Legislatur hat sie es jetzt vorgelegt und ich habe es gelesen. Ich will es nicht spannend machen: mir hat das Papier nicht besonders gefallen. Es kommt mir so vor, als ob die Sozialministerin über eine Baustelle läuft und bei schiefen Balken, fehlender Baustellensicherung und kaputten Rohren keine Abhilfe anordnet, sondern lediglich Prüfaufträge verteilt. Die Pflege hat viele Probleme; zu wenig Informationen gehören nicht dazu.
Wir wissen nämlich sehr genau Bescheid über die Situation der Pflege, wie es den Pflegenden geht, wie die Angebote aussehen, wo es mit der Finanzierung hapert und nicht zuletzt darüber, wie es um die pflegenden Angehörigen steht. Da müssen keine Prüfaufträge verteilt werden, sondern da sind umgehend handfeste Programme nötig. Und zwar vor allem welche, die finanziell gut ausgestattet werden und dauerhaft angelegt sind. Beides fehlt in dem so genannten Maßnahmenpakt. Stattdessen wird viel geredet. Das scheint mir manchmal der einzige Beitrag der Landesregierung zu sein: eine schöne Festrede, zum Beispiel anlässlich einer Infowoche. Die Landesregierung tritt nicht wie ein Akteur auf, sondern wie eine Moderatorin. Das ist zu wenig.
Und das ist beileibe nicht die einzige Kritik an dem Papier: viele wichtige Themen werden überhaupt nicht angesprochen.
Erstens. Die Situation der Young Carer, die parallel ihre Karriere oder die Schule, ihre eigene Familie und dann noch die Pflege eines Angehörigen unter einen Hut bringen möchten. Diese Helfergruppe fehlt im Paket komplett.
Zweitens. Es fehlen konkrete Maßnahmen, wie die Armut im Alter als Folge von jahrelanger, unbezahlter Pflege vermieden wird. Immer noch büßen vor allem Frauen in Deutschland für die Pflege, weil ihnen Beitragsjahre für die Altersrente fehlen. Eine Lösung ist leider nicht in Sicht. Gespräche mit Arbeitgebern sind eben nur ein Baustein eines richtigen Maßnahmenpaketes. Wer seine Eltern pflegt und deswegen nicht Vollzeit erwerbstätig sein kann, muss eine Anerkennung seitens der Gesellschaft erwarten können, wenn die eigene Rente ansteht. Dass das bislang kaum der Fall ist, ist ein schlimmer Missstand. So wird die Benachteiligung von Frauen lebenslang zementiert. Das kann so nicht weitergehen. Eine Vereinbarkeit von Pflege und Beruf mit freien Tagen für Behördengänge – Pflegebedürftigkeit erfordert nämlich unheimlich viel Papierkram – müssten selbstverständlich sein. Beratung zuhause, Bezahlung von Vertretungen, wenn es auf eine Dienstreise geht, und, und, und. Das müsste möglich sein; die Angehörigen fordern es schon lange. Im Maßnahmenpakt der Landesregierung sucht man solche Maßnahmen allerdings vergeblich.
Drittens. Prävention. Ich möchte dazu ein Beispiel anführen: viele Menschen werden pflegebedürftig, weil sie keine Sturzprophylaxe gemacht haben. Ihr Arzt hat die Gangunsicherheit zwar bemerkt, aber entsprechende Kurse fehlen oftmals; vor allem auf dem Land. Wenn ein hochbetagter Mensch hinfällt, ist oftmals der Oberschenkelhals gebrochen und die Bewegung ist stark eingeschränkt. Häufig mündet ein Sturz auf diese Weise in die Pflegebedürftigkeit. Das ist aber kein Schicksal, mit dem man sich abfinden muss. Man kann vorbeugen. Diese Prävention muss nachhaltig finanziert und flächendeckend im Land angeboten werden. Das wäre eine wichtige Maßnahme, die unbedingt ins erste Maßnahmepaket der Landesregierung hineingehört hätte.
Viertens. Finanzierung. Das Maßnahmenpaket ist eben nur ein Prüfauftragspaket ohne finanzielle Unterfütterung. Alles das, was kein Geld kostet, wurde ins Paket geschrieben; und das andere, wie eine Rentenreform, den Aufbau eines Unterstützungssystems für pflegende Angehörige oder eine belastbare Rekrutierungsstrategie, die Schulen einbindet und Umsteigerprogramme ermöglicht, kosten Geld. Low Budget lassen sich die Riesenprobleme der Pflege aber eben gerade nicht lösen. Die Landesregierung muss nachlegen. Und zwar schleunigst.