Rede · Jette Waldinger-Thiering · 27.01.2022 Keine Kommerzialisierung unserer Hochschullandschaft

„Was wir brauchen, ist eine wirkliche Stärkung von Forschung und Lehre und keine Ver-Start-Up-ung der Wissenschaft!“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 4 + 5 - Gesetzentwürfe über die Hochschulen in Schleswig-Holstein (Drs. 19/1290 & 19/3186)

Ich erinnere mich noch gut an die Debatten, die wir zur Hochschulgesetzesnovelle der Küstenkoalition geführt haben. Wir wollten mehr Demokratie, mehr Transparenz, mehr Mitbestimmung. Wir haben Anwesenheitsregelungen im Sinne der Studierenden reformiert und Gleichstellungsarbeit innerhalb der Hochschulen gestärkt. Und das macht mich immer noch stolz. 
Wir haben damals mit diesem Gesetz aus den Reihen der CDU gehört, wir hätten „Murks“ gemacht und von der FDP vorgeworfen bekommen, wir würden die Hochschulen einschnüren und ihnen „Vorschriften ohne Ende“ machen. Aber so sehr, wie Sie damals geschimpft haben, fällt jetzt auf, wie wenig Sie zurückdrehen wollen.  
Ich bin froh, dass der Erweiterte Senat bleibt und der/die Beauftragte für Diversität gestärkt wird. Beide Anliegen sind es wert, über Parteigrenzen und Regierungskoalitionen hinweg unterstützt zu werden. 

Ich vermisse bei Jamaika aber ein weiteres Zugehen auf die Studierenden. 
Mit unserem Änderungsvorschlag in § 69 haben wir das Vorhaben eingebracht, die Arbeitsverhältnisse für Studierende zu verbessern. Sie erinnern sich an die Proteste studentischer Angestellter vor dem Landeshaus für faire Löhne. Gemeinsam mit anderen Sprecherinnen und Sprechern der Fraktionen habe ich mir die Forderungen der Studierenden angehört. 
Die Zugrundelegung des Tarifs des Öffentlichen Dienstes des Landes Schleswig-Holstein und Mindestvertragslaufzeiten von einem Jahr scheinen uns und der SPD angemessen. Was wir brauchen, sind bessere Arbeitsbedingungen für Alle und gute Perspektiven für unseren Forschungsnachwuchs! 

Ich vermisse bei Jamaika Antworten auf Fragen, die in der Anhörung von Ihnen nicht beantwortet werden konnten. 
Die Kritik, die im Rahmen der Anhörung zum §40 Absatz 4 eingebracht wurde, wurde im weiteren Verfahren von Jamaika ignoriert. 
Jamaika will, dass Studierende zum Zwecke von Unternehmensgründungen vom Studium beurlaubt werden können. 
Probleme bei Prüfung der Rechtmäßigkeit der Beurlaubungsanträge bestehen aber weiter. 
Knowhow und die Kapazitäten zum Prüfen und Plausibilisieren von Business-Plänen ist nicht automatisch vorhanden. Personelle wie räumliche Ressourcen für beispielsweise Gründungszentren fehlen an den Hochschulen. Wer genehmigt überhaupt unter welchen Voraussetzungen derartige Urlaubssemester; die Antwort auf diese Fragen sind Landesregierung und Koalitionäre schuldig geblieben. 
Und darüber schweben grundlegende Fragen von Verwirtschaftlichung der Wissenschaft und Privatisierung unserer Hochschulen. 
Der Senat der Hochschule Flensburg hatte es in ihrer Stellungnahme so treffend zusammengefasst. Denn es ist ein Gesamteindruck, eine Summe aus Teilabschnitten einzelner Paragrafen in dieser HSG-Novelle, die eine Kommerzialisierung unserer Hochschullandschaft andeutet. 
Was wir brauchen, ist eine wirkliche Stärkung von Forschung und Lehre. Und keine Ver-Start-Up-ung der Wissenschaft! 

Was ich bei Jamaika stattdessen sehe ist falsch kanalisierte Experimentierfreude. 
Die Innovationsklausel, so wie sie im Jamaika-Gesetz im § 110 vorgesehen ist, ermöglicht es dem Senat, fortan zur Erprobung neuartiger und weiterentwickelter Hochschulstrukturen umfassende Eingriffe in die Rechte der Beschäftigten und in die demokratischen Strukturen der Hochschulen vorzunehmen. Das kann die Gremien der Hochschulen betreffen, Rechte und Auswahl der Hochschulleitungen, aber beispielsweise auch Regelungen, die die Gleichstellungsbeauftragten betreffen. 
Gewerkschaften, SPD und SSW haben versucht, Sie im Verfahren auf dieses Szenario hinzuweisen und wir wiederholen unsere Forderung in unserem Änderungsantrag: 
Streichen Sie die Innovationsklausel! 

Den Schaufensterantrag „Allianz für Lehrkräftebildung“ haben wir bereits heute Morgen diskutiert. Inhaltlich habe ich mich bereits heute Morgen dazu verhalten. Deswegen jetzt nur kurz: 
Ihr Vorschlag war nicht Teil eines ordentlichen parlamentarischen Verfahrens. Sie wissen, dass eine neue Lesung hier angemessen wäre. Wir wollen mit den Beteiligten reden. Dieses Vorgehen ist kein kluger Schachzug. Das ist einfach nur gemogelt. 

Es fällt mir schwer, eine wirkliche Idee für die Hochschulen ausfindig zu machen. Ein bisschen mehr Autonomie hier, ein bisschen mehr Gründungswunsch da. Wenn man das Hochschulgesetz verbessern wollte, hätte man es wie SPD und SSW machen können. Ein Hochschulgesetz, dass sich darauf konzentriert, Studierende zu unterstützen, Arbeitsverhältnisse zu verbessern und Hochschulen nicht zusätzliche Aufgaben zuordnet, die weder durchdacht noch durchfinanziert sind.   

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