Rede · Jette Waldinger-Thiering · 10.01.2022 Jamaika hat sich zur Adventszeit weggeduckt
„Testen und Impfen, das waren die Forderungen des SSW bereits im Herbst 2021. Also nix mit hätte hätte Fahrradkette oder Schlaumeierei. Nein, hier hat die Landesregierung bereits im Herbst die Situation deutlich unterschätzt. Die Landesregierung zwischen den Meeren hat die Omikron-Welle nicht kommen sehen. “
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 1+2+3 - Regierungserklärung sowie Anträge zur aktuellen Lage der Pandemie (Drs. 19/3538, 19/3536, 19/3537, 19/3539 und 19/3540)
Dass der Schleswig-Holsteinische Landtag heute zusammen kommt ist durchaus erforderlich. Nicht allein die aktuellen Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz, vielmehr die Ausbreitung der Omikron-Variante und die notwendigen Vorkehrungen für Schleswig-Holstein, machen diese Sitzung erforderlich.
Seit gut zwei Jahren kämpfen wir mit den Auswirkungen des Coronavirus auf verschiedenen Ebenen: Im medizinischen Bereich, im Wirtschaftsbereich, im sozialen Bereich sowie in der Politik. Corona verlangt uns viel ab und je länger es andauert, desto schwieriger wird es.
Wir haben gelernt, darauf zu reagieren und entsprechende Maßnahmen daraus abzuleiten. Nicht immer übersichtlich und vielleicht auch nicht immer verständlich genug. Wann gilt was und warum oder warum nicht? Für uns als Politik sind notwendige oder auch einschränkende Maßnahmen eine Konsequenz, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu bremsen, aber in erster Linie, um die Bevölkerung zu schützen. Diese Entscheidungen fällt die Politik aber nicht aus dem Bauch heraus. Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen stehen der Politik beratend zur Seite. Und ich erinnere daran, dass es hier im Landtag dazu extra eine breit angelegte Expertenanhörung gab.
Schleswig-Holstein ist mit seinen Maßnahmen verhältnismäßig gut durch das letzte Jahr gekommen. Das Frühjahr und insbesondere der Sommer haben die Infektionsrate niedrig gehalten und eine gewisse Leichtigkeit im Zusammenhang mit dem Virus ist aufgetreten. Schleswig-Holstein hatte im Bundesvergleich gute Zahlen und die Landesregierung ist nicht müde geworden darauf hinzuwiesen, wie gut wir dastehen.
Zum Lernen im Umgang mit Corona gehört auch , dass sich das Virus und seine Ausbreitungsfähigkeit verändert; von Alpha zu Delta und nun die Omikron-Variante. Und hier liegt der Fehler. Diese Lehren wurden nicht gezogen. Bereits im Herbst wurde auf die einbrechende Welle hingewiesen und es wurde davor gewarnt. Omikron hatte sich immer weiter ausgebreitet; in den europäischen Nachbarländern und den anderen Bundesländern. Schleswig-Holstein war lange Zeit weitgehend noch unberührt und so wurden auch entsprechende Vorkehrungen weitgehend außer Acht gelassen. Heute wissen wir, es war eine fatale Fehleinschätzung. Hier hat die Landesregierung eindeutig zu spät reagiert. Und die Landesregierung muss sich die Frage gefallen lassen: Wie viele Infektionen hätten verhindert werden können, wenn Jamaika rechtzeitig und angemessen reagiert hätte?
Ich weiß, im Nachhinein ist es immer leicht gesagt, was alles hätte getan werden müssen. Aber so leicht will ich es der Landesregierung hier nun auch nicht machen. Wir als SSW haben unmittelbar nach der Schließung der Impfzentren einen Antrag gestellt zur Corona-Test- und Impfstrategie. Mit der Forderung die Teststellen vorläufig bis März dieses Jahres kostenfrei offen zu lassen. Wir haben im Antrag klar gemacht, dass der Zugang zur Drittimpfung unkompliziert sein muss und dass mobile Impfangebote vorgehalten werden müssen, um die Impfquote zu erhöhen. Denn es macht durchaus einen Unterschied, ob ich geimpft und geboostert bin. Leider wurde unser Antrag mehrheitlich abgelehnt. Testen und Impfen, das waren die Forderungen des SSW bereits im Herbst 2021. Also nix mit hätte hätte Fahrradkette oder Schlaumeierei. Nein, hier hat die Landesregierung bereits im Herbst die Situation deutlich unterschätzt. Die Landesregierung zwischen den Meeren hat die Omikron-Welle nicht kommen sehen.
Hier bei uns in Schleswig-Holstein galten in der Adventszeit und rund um die Weihnachtsfeiertage andere Bedingungen als in den übrigen Bundesländern. Keine Ausrufung der epidemischen Notlage, Bars und Clubs hatten geöffnet, es gab relativ großzügige Obergrenzen bei Veranstaltungen, jedoch keine Pflicht mehr zur Erfassung von Kontaktdaten. Dass es nun in mehreren Clubs zu zahlreichen Ansteckungen kam und sich in der Folge mehrere Tausend Menschen in Quarantäne begeben mussten, kann nun wirklich niemanden überraschen. „Schlauberger“ hin oder her – die Auswertung von Kontaktverfolgungsdaten hat uns schon frühzeitig gezeigt, dass Bars und Clubs mit zu den Hauptinfektionsherden zählen, was ja angesichts des dichten Gedränges dort auch kaum verwundern kann.
Dass dies überhaupt zulässig war, hat auch für große Verwunderung in der Bevölkerung gesorgt. Der Hinweis auf Kontaktbeschränkungen und die 10 Personen-Regelung im privaten Bereich stehen hier im absoluten Gegensatz zu dem, was in den Diskos und Clubs erlaubt war. Hier würde ich mir ein deutlicheres Eingeständnis von Seiten der Landesregierung dahingehend wünschen, dass es vor Weihnachten eine Fehleinschätzung der Situation gab.
Sich darauf zurückzuziehen, dass es im Vorfeld dafür keine Lage und rechtliche Handhabe gab, ist nicht nachvollziehbar. Das hätte die Landesregierung sehen müssen und entsprechend vorsorglich handeln müssen.
Doch die Landesregierung hat sich gerade zur Adventszeit weggeduckt und keine neuen Maßnahmen veranlasst, wie der SSW sie ja beispielsweise auch angeregt hatte. So konnte das Infektionsgeschehen nun seinen Lauf nehmen – und plötzlich ist Schleswig-Holstein eines der Bundesländer, das mit am stärksten von der Omikron-Variante betroffen ist. Mit der Feststellung der epidemischen Notlage sollen ja nun aber endlich auch bei uns alle Diskotheken und ähnliche Einrichtungen geschlossen werden. Eine überfällige Entscheidung, die die Landesregierung vor den Feiertagen zu treffen leider versäumt hat. Die daraus resultierende Entwicklung gilt es nun gemeinsam wieder einzufangen. Daher sehen wir uns gezwungen, diese Schritte zu gehen, um wieder zu nachverfolgbaren Inzidenzwerten zu kommen. Wir müssen unser Gesundheitswesen schützen sowie die weiteren kritischen Infrastrukturen. Das System darf nicht zusammenbrechen. Daher teilen wir auch die Forderung nach Verkürzung der Quarantänezeiten.
Es gilt aber auch die Wirtschaft weiter am Laufen zu halten, beziehungsweise die kritischen Bereiche mit Wirtschaftshilfen und Überbrückungsprogrammen zu unterstützen. Was deren beschlossene Verlängerung auf Bundes- wie auch Landesebene bis vorerst Ende März angeht, so klingen die Ankündigungen ja grundsätzlich erst einmal richtig und für die Antragsberechtigten hoffentlich auch ein Stück weit beruhigend. Hier in Schleswig-Holstein werden ja mehrere landeseigene Hilfsprogramme unter guten Abrufzahlen entsprechend verlängert, was absolut richtig ist. Allerdings handelt es sich hierbei ja vor allem um Darlehens- und Beteiligungsprogramme, während der Bund vollumfänglichere Zuschussprogramme gewährt. Diese sind dann natürlich vom Grundsatz her attraktiver und es bleibt ratsam, als Betroffener in erster Linie die Bundesprogramme zu prüfen. Allerdings muss der Bund dann nun auch in der Praxis liefern. Die Berechtigten müssen die Gelder schnell und verlässlich abrufen können und ausgezahlt bekommen. Zugesagt und aufgelegt wurden innerhalb der letzten zwei Jahre viele Programme mit einem Gesamtumfang in Milliardenhöhe, aber es gab auch jeweils viele Anlaufschwierigkeiten, bürokratische Hürden und komplexe Berechtigungsanforderungen. Insgesamt hat sich bei den Hilfsprogrammen inzwischen aber hoffentlich ein gut funktionierender Mechanismus eingespielt, der einerseits Betrugsversuche identifiziert und nachverfolgt sowie andererseits – und in der Hauptsache – den berechtigten Unternehmen weiterhin schnelle und verlässliche Hilfszahlungen zukommen lässt. Denn hier geht es nicht nur um die Wirtschaftskraft der bei uns ansässigen Unternehmen, sondern weiterhin ganz konkret um deren Existenz und damit auch um die Existenz von tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die wieder in Kurzarbeit zu gehen drohen oder denen sogar der Jobverlust droht. Hier braucht es schnelle und verlässliche Unterstützung und Perspektiven.
Insgesamt müssen wir nicht nur an „das System“ als solches, sondern auch und vor allem konkret an die Menschen denken, die hinter den Strukturen stehen und diese erst ermöglichen und aufrechterhalten. In Bars, Kinos, Diskos, Gastronomiebetrieben etc. arbeiten insbesondere Menschen aus dem Niedriglohnsektor bzw. in nicht sozialversicherungspflichtigen Jobs. Und insbesondere diese Menschen müssen nun abermals um ihre Jobs und ihre Existenzen fürchten. Dies müssen wir bei allen Maßnahmen stets bedenken und entsprechend berücksichtigen.
Für uns als SSW ist es auch in dieser Situation wichtig, nicht nur auf die Strukturen zu schauen, sondern ganz konkret darauf, was die Infektionslage und die damit begründeten Einschränkungen für die Menschen vor Ort bedeuten.
Gerade deshalb stehe auch ich dahinter, dass die Schulen offengehalten werden, solange es irgendwie verantwortbar ist.
Wir haben bei aller Vorsicht und allen Schutzmaßnahmen von der großen Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler und ihren Vertretungen immer wieder zurückgemeldet bekommen, wie wichtig es für sie ist, dass sie die Möglichkeit behalten, in die Schulen gehen zu können.
Aufgabe der Politik ist es, dafür zu sorgen, dass sie sich dort auch sicher fühlen. Deswegen sind Schutzmaßnahmen wie die Ausweitung und Erhöhung der Testfrequenz, Kohortenregelungen an Grundschulen und Förderzentren, Beschränkungen im Sport- und Musikunterricht und eine generelle Maskenpflicht, auch wenn sie einigen lästig erscheinen mögen, an dieser Stelle absolut richtig.
Dabei muss natürlich immer wieder aktuell auf die Lage reagiert werden können. Die Auflagen, in den Distanzunterricht zu wechseln, dürfen nicht so hoch sein, dass er praktisch nie stattfinden kann. Es sollte daher nicht ausgeschlossen sein, dass der Kriterienkatalog hierfür noch einmal angepasst wird.
Klar ist auch, dass die Situation an den Hochschulen noch nicht zufriedenstellend geklärt ist. Wir wissen schon von mindestens einer Universität, die selbstentschieden in den Distanzunterricht gegangen ist. Rahmenbedingungen wie Bafög-Regelungen, Freisemester, Prüfungsvariabilität müssen hieran im Sinne der Studierenden angepasst werden.
Es wird auch in Zukunft darum gehen müssen, wie wir mit Corona leben können. Da liegt es für uns nahe, auch einmal auf den Umgang mit der Pandemie in Dänemark zu schauen. In Dänemark gibt es eine Erstimpfquote von ca. 83 %. Es gibt dort jedoch auch eine 7-Tage-Inzidenz von über 2000 und können daran sehen, wie schwer es ist, bei dieser Variante die enorm hohe Infektionsrate zu senken. Aber – und das lässt weltweit gerade vorsichtige Hoffnung aufkommen – die Hospitalisierungsraten sind nicht entsprechend angestiegen. Auch hier lässt sich feststellen, dass Impfungen mit hoher Sicherheit vor schweren Verläufen schützen.
Und deswegen möchte ich abschließend nochmal an Sie appellieren: Nur die Impfung bringt uns aus der Pandemie. Schützen Sie sich und andere und lassen sie sich impfen! Damit entlasten wir nicht nur das Gesundheitssystem. Daher gilt mein besonderer Dank all denen, die unter großen Anstrengungen seit nunmehr knapp zwei Jahren im Medizin- und Pflegebereich unermüdlich dafür gekämpft haben und übermenschliches geleistet haben, damit das System nicht zusammenbricht.
Testen und Impfen, das ist der Weg aus der Pandemie, nur so entlasten wir das System, schaffen Sicherheit und gewinnen letztendlich auch Freiheiten zurück.