Rede · Jette Waldinger-Thiering · 12.05.2023 Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif!

„Auch das ist eine unserer großen Aufgaben: die Schulen personell so auszustatten, dass die Lehrkräfte ausreichend Zeit haben, sich um alle Kinder zu kümmern, damit am Ende keiner ohne Abschluss durchs System fällt. Denn die Zahlen zeigen deutlich: es sind nicht nur die Förderschüler, denen der Abschluss fehlt. Es sind auch viel zu viele junge Menschen in Regelschulen, die diese ohne Abschluss verlassen.“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 20+21 - Schulabschluss an Förderzentren anerkennen (Drs. 20/826) und Mündlicher Bericht zu jungen Menschen ohne Schulabschluss (Drs. 20/829)

Die Art, wie wir mit unseren Schwächsten umgehen, sagt viel über unsere Gesellschaft aus. Der Umgang mit den jungen Menschen, die ihre Schullaufbahn aus unterschiedlichen Gründen in einem Förderzentrum für geistige Entwicklung absolvieren, ist hier kein Ruhmesblatt. Diese jungen Menschen gehen neun oder zehn Jahre zur Schule und lernen und leisten dort, was im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegt. Und dann sagen wir: danke für die letzten zehn Jahre und viel Glück. Aber einen Schulabschluss, den bekommen sie nicht. Für den ESA hat es nicht gereicht, tut uns leid! Und am Ende gehen diese jungen Menschen als Schulabbrecher in die Statistiken ein. Gerade diese jungen Menschen, die ohnehin schon ihr ganz persönliches Päckchen zu tragen haben, haben mehr als das verdient! Wir brauchen einen eigenständigen Förderschulabschluss. 
Einen Abschluss, der zeigt, was die jungen Menschen in ihrer Schullaufbahn geleistet haben. Die Schülerinnen und Schüler haben eine angemessene Anerkennung verdient für die schulische Leistung, die sie erbracht haben. 
Ich freue mich sehr zu sehen, dass das nun auch die regierungstragenden Fraktionen sehen und die Bereitschaft zeigen, mit uns an einem Strang zu ziehen.
Wir brauchen außerdem eine differenzierte Statistik, die ausweist, dass es sich eben nicht um Schulabbrecher sondern um Absolventen eines Förderzentrums handelt.
Dass in Schleswig-Holstein mehr Kinder inklusiv an den Regelschulen beschult werden als in den meisten anderen Bundesländern, sehen wir positiv. Die aktuellen Zahlen der Bertelsmann-Stiftung zeigen deutlich, dass viele Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf an den Regelschulen erfolgreich einen Abschluss erwerben. Aber es braucht natürlich ausreichend pädagogische Fachkräfte, um die Kinder mit Herausforderungen dann auch angemessen bis zum Schulabschluss zu begleiten, damit sie nicht am Ende der Regelschule dann doch durch das System fallen. 
Und auch die Lehrkräfte können das nur leisten, wenn die Klassen ausreichend klein und die Zahl der ausgebildeten Fachkräfte ausreichend groß ist. 
Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif! Auch das ist eine unserer großen Aufgaben: die Schulen personell so auszustatten, dass die Lehrkräfte ausreichend Zeit haben, sich um alle Kinder zu kümmern, damit am Ende keiner ohne Abschluss durchs System fällt. Denn die Zahlen zeigen deutlich: es sind nicht nur die Förderschüler, denen der Abschluss fehlt. Es sind auch viel zu viele junge Menschen in Regelschulen, die diese ohne Abschluss verlassen. Menschen, die anschließend oft nicht den Weg in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt finden. Junge Leute, die der Gesellschaft dauerhaft verloren gehen. Das können und dürfen wir uns nicht länger leisten. In einer schrumpfenden Gesellschaft mit zunehmendem Fachkräftemangel sind wir auf jeden Einzelnen angewiesen. Jeder Einzelne hat das Recht auf Teilhabe am Erwerbsleben. Und Schule ist der Ort, an dem die Weichen dafür gestellt werden müssen, dass die jungen Menschen dieses Recht auch wahrnehmen können. 
Unsere Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das dann auch ermöglichen! Ein gutes Bildungssystem kostet Geld, ohne Frage, aber jedes Kind, jeder Jugendliche, der im System Schule hinten runterfällt, kostet noch viel mehr Geld! 
Darum müssen wir den Schülerinnen und Schülern das geben, was ihnen zusteht: eine Schulausbildung, die zum einzelnen Kind passt und am Ende die Anerkennung, die jede Schülerin und jeder Schüler sich verdient hat!  

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