Rede · Jette Waldinger-Thiering · 17.10.2024 Hetzerei liefert keine soliden Erkenntnisse

„Die Schulen sollen, mal wieder, nur eines tun: eine erfolgreiche Kultuspolitik belegen. Wer nämlich gleichzeitig überlegt, die Zahl der Schulentwicklungsberaterinnen und -berater zu senken, die Zahl der Verbindungslehrerinnen und -lehrer zu deckeln und überhaupt die Lehrkräfte mit Zusatzaufgaben zukünftig weniger zu entlasten, hat natürlich grundsätzlich mit Experimenten wenig am Hut. Diese kosten nämlich Zeit. Und genau das ist die Ressource, die an den Schulen derzeit Mangelware Nr. 1 ist. “

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 16 - Ein Jahr Experimentierklausel in Schleswig-Holstein (Drs. 20/2478)

Die Schulen sind Experten in eigener Sache. Gerade weil die Unterschiede in Größe, Schwerpunkten und sozialer Herkunft der Schülerinnen und Schüler bereits in einer Stadt erheblich sein können, müssen die Schulen möglichst viel Freiraum haben, um optimale Ergebnisse erzielen zu können. Für mich ist es als Pädagogin ein Herzensthema, den Schulen Entscheidungsfreiheit zu gewähren. Zentralistische Vorgaben sollten nur dort zum Zuge kommen, wo es unbedingt nötig ist.
Vor diesem Hintergrund ist die Öffnung durch eine so genannte Experimentierklausel ausdrücklich zu begrüßen. Lehrkräfte können nach ihren Kompetenzen neue Wege einschlagen. Sie können sich ausprobieren, was natürlich auch bedeutet, dass auch einmal Experimente misslingen.
Ich habe großes Vertrauen in die Kompetenzen gerade der jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die von den Hochschulen mit ganz neuen Lehr- und Lernkonzepten kommen. Wie oft werden sie aber zurückgepfiffen, weil das Kollegium sich nicht traut oder sich scheut, eingetretene Pfade zu verlassen. Das Beharren auf Bewährten führt oft zur Demotivation. Das merken nicht nur die Lehrkräfte, sondern auch Schülerinnen und Eltern.
Die Experimentierklausel ist also richtig. Allerdings ist noch nicht einmal ein Jahr ins Land gegangen, bis die Regierungsfraktionen nach Erfolgen gieren. Vorhaben, die die Schulen im Rahmen der Experimentierklausel durchführen möchten, mussten bis zum 29. Februar 2024 eingereicht werden.
Bis dahin musste das Freitagsforum des IQSH im Rahmen einer Sprechstunde viele Fragen beantworten. Faktisch ist das Jahr also noch gar nicht um. Und wenn, kann die Ministerin nur erste Berichte einiger Schulen zitieren. Das ist dann genau das, was man gemeinhin unter anekdotischer Evidenz versteht. Damit erweisen wir der guten Absicht der Experimentierklausel einen Bärendienst. Ich plädiere dafür, die Schulen erst einmal Erfahrungen machen zu lassen und diese dann einer systematischen, wissenschaftlichen Auswertung zu unterwerfen. Wie viele Schulen hatten in den letzten Monaten überhaupt die Möglichkeit, Verfahren gemäß der Experimentierklausel zu beantragen, durchzuführen und auszuwerten? Ich denke, dass es nicht einmal eine Handvoll ist. Und bei einer so kleinen Zahl bringt ein ministeriumsinterner Bericht, zumal nur ein mündlicher Bericht, überhaupt keine soliden Erkenntnisse.
Die Antragsteller setzen aber alles daran, superschnelle Ergebnisse zu sehen: so steht im Antrag, dass die Ministerin im September-Plenum berichten soll bzw. hätte berichten sollen. Da hat man sich wohl im Eifer des Gefechts selbst überholt.
Dieses übereilte, gehetzte Vorgehen bestärkt mich in meinem Misstrauen. Die Schulen sollen, mal wieder, nur eines tun: eine erfolgreiche Kultuspolitik belegen. Wer nämlich gleichzeitig überlegt, die Zahl der Schulentwicklungsberaterinnen und -berater zu senken – wie wir im Ausschuss hören mussten - die Zahl der Verbindungslehrerinnen und -lehrer zu deckeln und überhaupt die Lehrkräfte mit Zusatzaufgaben zukünftig weniger zu entlasten, hat natürlich grundsätzlich mit Experimenten wenig am Hut. Diese kosten nämlich Zeit. Und genau das ist die Ressource, die an den Schulen derzeit Mangelware Nr. 1 ist.  
Mein Hauptkritikpunkt am vorliegenden Antrag ist, dass die Schulen immer mehr Aufgaben erledigen sollen, ohne dass ihnen dafür verlässliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Damit muss endlich Schluss sein.
 

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