Rede · Jette Waldinger-Thiering · 27.08.2020 EU unter Einbeziehung der breiten Zivilgesellschaft weiterentwickeln
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 27 + 56 - Konferenz zur Zukunft Europas starten und aktiv mitgestalten + Ostseebericht 2020 (Drs. 19/2281; 2206)
„Sowohl Europa als auch die EU als auch die Ostseeregion leben vom Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger. Als ‚Land zwischen den Meeren‘ sind und bleiben die Themenfelder und aktuellen Herausforderungen unserer Europapolitik umfangreich und anspruchsvoll.“
Die Coronavirus-Pandemie wirkt sich natürlich auch direkt auf unsere europapolitische Arbeit hier in Schleswig-Holstein aus. Unter diesem Tagesordnungspunkt diskutieren wir daher nun zwei entsprechende Drucksachen.
Zunächst zum diesjährigen Ostseebericht der Landesregierung: Dieser ist umfassend und informativ. Dabei ist die Ostseeregion für uns vor allem eines: Nachbarschaft. Zahlreiche Gremien und Veranstaltungsformate zeugen davon, wie eng und engagiert die Zusammenarbeit in der Ostseeregion bereits organisiert ist. Auch Schleswig-Holstein ist hier ein aktiver Partner – auf das bereits Erreichte können wir stolz sein, darauf ausruhen dürfen wir uns aber nicht.
Die enge Zusammenarbeit mit Dänemark bleibt für uns dabei selbstredend eine Priorität und Herzensangelegenheit. Entsprechend hoffen und erwarten wir, dass es nicht zu allzu großen Kürzungen bei Fördergeldern und bilateralen Projekten in dieser Beziehung kommt.
Darüber hinaus müssen wir als das „Land zwischen den Meeren“ natürlich stets auch unsere beiden Meeresseiten im Blick haben. Ich möchte dazu gern einige Punkte aus dem Bericht hervorheben:
1. Die definierten Schwerpunkte für den schleswig-holsteinischen Vorsitz im Rahmen der STRING-Kooperation, die ja nun bis Mitte nächsten Jahres verlängert werden soll, unterstützen wir – und ich freue mich darauf, vom Europaministerium dann zum gegebenen Zeitpunkt detaillierter über die konkrete Umsetzung auf dem Laufenden gehalten zu werden.
2. Die Themen Umweltschutz, Digitalisierung und Mobilität müssen wir auch im Rahmen unserer Europapolitik weiterhin ambitioniert angehen. Die Einbeziehung der Jugend ist dabei ein wichtiger Faktor, wie es auch im Bericht lobenswerterweise zum Ziel erklärt wird. Wir alle tragen als Gemeinschaft Verantwortung dafür, unsere Region nachhaltig und lebenswert zu gestalten – und unsere heutige Jugend hat einen Anspruch auf einen prominenten Platz am Gestaltungstisch.
3. Schleswig-Holstein hat das Zeug zur maritimen Modellregion mit Vorbildcharakter. Die definierten Ziele im Rahmen der fachpolitischen Kooperationen setzen dafür aus unserer Sicht die richtigen Schwerpunkte.
4. Es ist und bleibt richtig und wichtig, unsere Partnerschaft mit Kaliningrad zu pflegen und auszubauen. Gerade in stürmischen Zeiten ist es notwendig, den konstruktiven Dialog zu suchen und nicht abreißen zu lassen.
Die zweite Drucksache beschreibt unseren fraktionsübergreifenden Antrag anlässlich der angekündigten „Konferenz zur Zukunft Europas“ auf EU-Ebene. Da Deutschland ja aktuell bis zum Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft innehat, ist der Zeitpunkt günstig, mit den konkreten Vorbereitungen zu beginnen – auch hier auf Landesebene.
Im Übrigen sei an dieser Stelle noch einmal kurz festgehalten: „Europa“ und „die EU“ stellen ja keine Synonyme dar. Aber beide sehen sich zurzeit mit ähnlichen Herausforderungen und Fragen konfrontiert: Welche Erwartungen haben wir, die Bürgerinnen und Bürger, an Europa und an die EU im Speziellen? Wie soll sich die EU weiterentwickeln? Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Nachbarschaftspolitik in und um Europa aus?
Für uns vom SSW ist klar, dass wir eine bürgernahe EU brauchen, die handlungsfähig ist. In ihrer jetzigen Form ist die EU nicht perfekt; es bedarf institutioneller und politischer Reformen. Und diese Weiterentwicklung sollte dann auch in einer offenen Debatte unter Einbeziehung der breiten Zivilgesellschaft erarbeitet werden. Die Zukunftskonferenz kann daher hoffentlich bald starten und viele motivieren, sich aktiv einzubringen.
Zum Schluss noch eine Überlegung: Wir freuen uns, wenn es gelingt, den europäischen Gedanken und die Werte der EU weiterzutragen – und dabei können wir gern auch über die bestehenden Grenzen der derzeitigen EU hinausschauen. Warum also nicht den gesamten europäischen Kontinent – Staaten wie zivilgesellschaftliche Akteure – dazu einladen, sich im Namen nachhaltiger Nachbarschaftspolitik für eine Weiterentwicklung der kontinentalen Zusammenarbeit einzusetzen? Dazu können wir beispielsweise direkt vor die Haustür der EU schauen – ich denke hier an die aktuelle Lage in Belarus. Im Rahmen der Östlichen Partnerschaft pflegt die EU mit Belarus seit zehn Jahren besondere Beziehungen und was wir den Weißrussen nun konstruktiv anbieten können, ist, ihnen zuzuhören, ihnen zur Seite zu stehen und sie dabei zu unterstützen, ihren Staat zu verbessern. Denn die Gestaltung der Zukunft in Belarus ist eng verwoben mit der Gestaltung der Zukunft der EU und Europas.