Rede · Jette Waldinger-Thiering · 25.03.2022 Es muss sich viel ändern beim Thema Inklusion
„Dieser Landesregierung fehlt es an den Zahlen, dem Willen und der nötigen Einstellung.“
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 31 - Abschlussbilanz: Schulische Inklusion in der 19. Legislaturperiode (Drs. 19/3704)
Manchmal ist es wichtig, nicht nur auf das zu hören, was gesagt wird, sondern auf das zu achten, was tatsächlich auch getan wurde.
Schleswig-Holstein war unter der Küstenkoalition nach Bremen das Land mit der besten Quote in der Inklusion. Das ist ein Zustand, den wir Jamaika hinterlassen konnten und den die Regierung und ihre sie tragenden Fraktionen in den zurückliegenden Jahren regelmäßig genutzt haben, um sich damit zu schmücken und doch gleichzeitig herunter zu reden, welche Leistung das ist.
Karin Prien hat immer wieder einen Gegensatz aus Quantität und Qualität aufgemacht. Und das, wie ich finde, zu Unrecht. Denn dass wir eine hohe Inklusionsquote haben, bedeutet ja gerade für jeden einzelnen Fall eine inklusive Beschulung im Regelschulbetrieb, statt einer Ausgliederung im Förderzentrum.
Ich bin aber sehr wohl der Meinung, dass das Land noch mehr tun muss, um sicherzustellen, dass den Bedürfnissen und Förderansprüchen der inklusiv beschulten Schülerinnen und Schüler besser entsprochen wird. Und das wäre die Aufgabe dieser Landesregierung gewesen.
Erst einmal fehlen dieser Landesregierung die Zahlen.
Das Bildungsministerium konnte weder Martin Habersaat noch mir in unseren Kleinen Anfragen beantworten, wie viele Planstellen der Unterstützung der inklusiven Beschulung an allgemeinbildenden Schulen dienen.
Aus einer Kleinen Anfrage von 2018 wissen wir noch, dass im Schuljahr 2016/17 642 Planstellen für die Inklusion an allgemeinbildenden Schulen eingesetzt wurden.
Seitdem variiert die Begründung, das Ergebnis der Antwort jedoch bleibt gleich:
Wie viele Planstellen der Unterstützung der inklusiven Beschulung an allgemeinbildenden Schulen dienen, wird statistisch schlicht nicht erfasst. Wir brauchen diese Antworten aber, um die frühzeitige Unterstützung sonderpädagogischer Förderung beurteilen und sie steuern zu können.
Warum das der Landesregierung auch auf wiederholte Nachfrage kein Anliegen ist, verstehe ich nicht.
Zweitens fehlt dieser Landesregierung der Willen.
Anstatt alles auf intensivpädagogische Maßnahmen an den allgemeinbildenden Schulen zu setzen, um dort den Kindern zu helfen, haben Sie die „Landesverordnung über sonderpädagogische Förderung“ nach dem Hamburger Modell novelliert.
Sie haben dafür gesorgt, dass Schüler:innen mit Förderbedarf künftig von der allgemeinbildenden Schule ausgeschlossen und im Förderzentrum beschult werden können. Dies sei nur zeitlich begrenzt vorgesehen, aber wir wissen doch aus Hamburg, wo es solche „temporären Lerngruppen“ seit Jahren gibt, wie schwer man die Schüler:innen wieder zurückbekommt.
Das ist genau der falsche Weg, denn das ist keine Inklusion, das ist Exklusion.
Und drittens fehlt Ihnen die nötige Einstellung.
Anlässlich des aktuellen Bildungsberichts zu Beginn dieses Jahres erklärte Ministerin Prien die hohe Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss mit der hohen Inklusionsquote in Schleswig-Holstein. Unsere Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Michaela Pries, antwortete darauf diplomatisch, dass diese Gleichsetzung „schwierig“ sei. Wenn eine hohe Anzahl an Jugendlichen mit Behinderungen die Schule ohne Abschluss verließen, sei das eigentlich vor allem ein Anlass, darüber nachzudenken, wie inklusive Schule aussehen muss.
Und auch Frau Zimmermann, Professorin für "Pädagogisch-Psychologische Diagnostik als Grundlage von Inklusion und Heterogenität“ an der CAU bezweifelte, dass sich aus der Statistik ableiten lässt, dass Inklusion gescheitert ist. Stattdessen könne man von einer Verschiebung der Zahlen ausgehen. Diejenigen Schüler:innen, die früher zur Förderschule gingen und auch dort keinen allgemeinen Schulabschluss geschafft hätten, gehen nun in die Statistik der allgemeinbildenden Schulen ein.
Also, was ist in dieser Legislatur geschehen?
Wir haben einen gestiegenen Anteil Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die an Förderzentren unterrichtet werden. Und das, obwohl wir wissen, dass Kinder mit Förderbedarf vom gemeinsamen Lernen und einer gemeinsamen Beschulung profitieren.
Wir haben ein Bündnis aus CDU, FDP und Grünen, die es abgelehnt haben, mit dem Bund und den Kommunen einen neuen Pakt für mehr Schulsozialarbeit aufzustellen.
Und wir haben eine Bildungsministerin, die in Inklusion ein Problem sieht, statt sich mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass die Grundsätze der Inklusion gewahrt werden.
Es wird Zeit, dass sich das ändert.