Rede · Christian Dirschauer · 10.12.2020 Rede zu Protokoll gegeben: Ein weiter Weg zum familienfreundlichsten Bundesland

„Reformprozess steht am Anfang, geht aber in die grundlegend richtige Richtung“

Christian Dirschauer zu TOP 6 - Gesetz zur Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes (Drs. 19/2396)

Ich habe die vielen Debatten rund um die Kita-Reform natürlich nicht live im Landtag erlebt. Aber ich kann für den SSW sagen, dass wir die grundlegende Zielsetzung dieser umfassenden Neuregelung unverändert teilen. Es ist aus unserer Sicht zum Beispiel überfällig, die Kitafinanzen neu zu ordnen. Gleiches gilt für Verbesserungen bei der Qualität der frühkindlichen Bildung. Auch hier müssen wir endlich entscheidend vorankommen. Und auch die finanzielle Entlastung der Eltern ist uns seit langem ein Anliegen und muss so schnell es geht in der Beitragsfreiheit münden. Diese übergeordneten Ziele bleiben maßgeblich für den weiteren Prozess. Und an diesen Vorgaben werden wir das Kitagesetz selbstverständlich auch immer wieder messen.

Im vorliegenden Gesetzentwurf werden Teile der Kindertagesförderung als Kernbereich des Kitagesetzes angepasst und präzisiert. Diese Änderungen und Klarstellungen betreffen zwar wichtige Details, wie etwa die Tagespflege, das Kitaportal oder die Öffnungs- und Schließzeiten. Aber die Grundausrichtung der Reform bleibt unberührt, so dass wir auch diese Änderungen mittragen können. Ich möchte allerdings bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, dass dieses Gesamtpaket für uns zwar unterstützenswert ist. Aber es ist lediglich ein erster Schritt hin zu einer wirklich zeitgemäßen frühkindlichen Bildung. Trotz der vielen investierten Arbeit - die wir absolut anerkennen - muss das Kita-Gesetz also fortlaufend evaluiert und im Zweifel eben auch angepasst werden. Hierüber sind wir uns hoffentlich alle einig.

Mir ist bewusst, dass die Reform erst zum Jahresbeginn in vollem Umfang in Kraft tritt. Gleichzeitig ist völlig klar, dass eine so umfassende Neuregelung nicht nur Gewinner hervorbringt. Außerdem muss in dem einen oder anderen Bereich auch erstmal abgewartet werden, wie sich die Reform tatsächlich praktisch auswirkt. Trotzdem ist längst deutlich geworden, dass es eine Reihe wirklich wesentlicher Kritikpunkte gibt. Und nicht nur das Anhörungsverfahren zum heute vorliegenden Gesetz zeigt, dass viele dieser Punkte bis heute nicht ausgeräumt wurden. Denn viele Anzuhörende halten ihre Kritik aufrecht beziehungsweise verweisen auf ihre entsprechenden vorangegangenen Stellungnahmen.

Auch wenn man sicher nicht jede Erwartung erfüllen kann, muss die Landesregierung diese Kritik ernst nehmen. Wenn unsere Bürgerbeauftragte zum Beispiel auf Probleme im Zusammenhang mit der Kostenübernahme für Gebärdendolmetscher hinweist müssen wir über eine Lösung im Sinne der betroffenen Familien nachdenken. Ähnliches gilt für die grundlegenden Zweifel vieler Träger, wenn es um qualitative Verbesserungen durch die vorgegebenen Standards geht. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat zu dieser Frage bekanntlich eine alarmierende Stellungnahme abgegeben. Vielerorts würde das Kita-Gesetz nicht zur Erhöhung, sondern eher zur Absenkung der Qualität führen. Diesem Hinweis muss gründlich nachgegangen werden. Und zwar nicht, weil hier rund 85 Prozent aller Einrichtungen organisiert sind, sondern vor allem weil dadurch eine Schlechterstellung vieler Kinder droht.

Beim Thema frühkindliche Bildung hat der SSW immer betont, dass wir alles unterstützen, was die Situation der Kindertagesbetreuung und die Bildungschancen unserer Kinder verbessert. Das muss aber ausdrücklich für alle Kinder gelten. Auch für diejenigen, die einen besonderen Bedarf infolge einer Behinderung haben. Doch hier scheint die Kita-Reform Defizite zu haben, die leider erhebliche Unsicherheiten mit sich bringen. Da geht es nicht nur um die erwähnten Schwierigkeiten bei der Betreuung von gehörlosen Kindern. Auch der Beauftragte Uli Hase hält an seinen Kritikpunkten fest. Und die Tatsache, dass aus seiner Sicht die Chance verpasst wurde, die frühkindliche Bildung wirklich inklusiv auszurichten, macht uns wirklich Sorgen. Daraus will ich an dieser Stelle keinen Hehl machen.

Fakt ist, dass Eltern von Kindern mit Behinderung infolge des Bundesteilhabegesetzes in vollem Umfang für die Betreuungskosten herangezogen werden. Wenn Sie mich fragen, ist es äußerst unglücklich, dass Kitas innerhalb der Eingliederungshilfe nicht mehr als teilstationäre Einrichtungen gelten. Aber wenn mich nicht alles täuscht, kann diesen Kindern auch noch unter Verweis auf einen „heilpädagogischen Bedarf“ der Zugang zum Regelangebot verwehrt werden. Diese Familien werden also eindeutig durch eine fehlende Wahlfreiheit benachteiligt. Das darf aus unserer Sicht nicht sein. Aus gleichen Pflichten müssen auch gleiche Rechte folgen. In absehbarer Zeit muss daher jede Kita in der Lage sein, jedes Kind aufzunehmen, das in die Kita kommen möchte. Kinder, die von einer Behinderung bedroht sind oder eine Behinderung haben, dürfen nicht ausgegrenzt werden. Das muss sichergestellt sein. 

Aus Sicht des SSW bleibt es also dabei: Neben viel Licht bietet diese Reform auch noch viel Schatten. Aber wir sind nicht nur hoffnungs- sondern vor allem auch erwartungsvoll, wenn es um den weiteren Verlauf und um die Zukunft der frühkindlichen Bildung geht. Soziale Härten und eine Schlechterstellung von Familien oder Trägern kann keiner ernsthaft wollen. Diese Dinge müssen im Rahmen der Übergangsphase und durch die gemeinsame Evaluation mit den Betroffenen ins Lot gebracht werden. So kann gelingen, was die Jamaika-Koalition ja längst versprochen hat. Schleswig-Holstein zum familienfreundlichsten Bundesland zu machen. Noch sind wir davon aber ein gutes Stück entfernt.
 

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