Rede · Christian Dirschauer · 27.01.2023 Ein erster Schritt in die richtige Richtung

„Das, was die SPD hier beantragt, kann nur ein Anfang sein“

Christian Dirschauer zu TOP 27 - Mit der Vor-Ort-für-dich-Kraft den Zusammenhalt in Schleswig-Holstein stärken (Drs. 20/585)

Um es direkt vorwegzunehmen: Aus Sicht des SSW ist dieser Antrag nicht nur sinnvoll, sondern auch überfällig. Ich habe schon in früheren Debatten auf die großen gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen hingewiesen, die nicht erst im Zuge der Pandemie gewachsen sind. Wir beobachten seit Jahren, dass soziale Strukturen in Städten und im ländlichen Raum aus unterschiedlichen Gründen schwächer werden. Immer mehr Menschen leben allein, Familien werden kleiner und ihre einzelnen Mitglieder leben häufig weiter voneinander entfernt. Eine wirklich gravierende Auswirkung ist ganz ohne Frage die zunehmende Einsamkeit immer größerer Teile der Bevölkerung. Dass wir auf diese gesellschaftlichen Veränderungen auch neue politische Antworten brauchen, steht für den SSW daher völlig außer Frage.

Wir wissen, dass Einsamkeit ein vielschichtiges Phänomen mit unterschiedlichsten Ursachen ist. Gleichzeitig sind Einsamkeit und soziale Isolation durch die Pandemie zwar sichtbarer geworden, aber alles andere als neu. Doch das Ausmaß ist mittlerweile auf einem alarmierenden Niveau. Fast jeder sechste Mensch zwischen 45 und 90 Jahren fühlt sich einsam. Damit wird deutlich, dass viel mehr Menschen unter ungewollter Einsamkeit leiden, als man unmittelbar annimmt. Und damit wird auch deutlich, dass es höchste Zeit war, sich hier als Landtag auf den Weg zu machen. Ich erinnere an meinen Antrag zum Monitoring von Einsamkeit und Isolation und an die entsprechende Debatte vor etwas über einem Jahr. Und ich halte fest, dass wir dringend detaillierte Daten für Schleswig-Holstein brauchen. Denn diese länderspezifischen Daten sind Grundlage und Voraussetzung dafür, um effektiv handeln und Einsamkeit vorbeugen beziehungsweise überwinden zu können. Ich hoffe sehr, dass uns hier bald konkrete Zahlen vorliegen.
Die Aufgabe, vor der wir hier als Gesellschaft und als Politik stehen, ist gewaltig. Da sind 100 hauptamtliche „Vor-Ort-für-dich-Kräfte“ natürlich eine dankbare und griffige Forderung. Uns stellt sich allerdings nicht nur die Frage der Anschlussfinanzierung, sondern auch jene der regionalen Verteilung oder danach, ob hier Vollzeitstellen gemeint sind. Noch dazu scheint es angesichts der über 1100 Gemeinden in Schleswig-Holstein wenig ratsam, wenn sich einzelne Kommunen gleich für mehrere dieser Stellen bewerben können. Ich denke, über diese Detailfragen müssen wir uns zeitnah im Ausschuss verständigen. Denn wir halten diesen Aufschlag für richtig. Aber diese Fragen müssen vorab geklärt werden, damit diese sinnvolle Weiterentwicklung der Idee der Gemeindeschwester auch wirklich einen nennenswerten Effekt hat. 

Gerade weil die Not vor Ort oft groß ist, müssen wir die Dinge realistisch betrachten und darauf achten, keine übergroßen Erwartungen zu wecken. Die in Rede stehenden 100 Kräfte sollen vielfältige Aufgaben wahrnehmen. Sie sollen in erster Linie Lotsen aber auch konkrete Kümmerer bei praktischen Problemen sein. Zu ihren Aufgaben zählt nicht nur aufsuchende Sozialarbeit oder die Vermittlung von pflegerischer Unterstützung, sondern auch die Stärkung einer aktiven Nachbarschaft und des Ehrenamts in der Gemeinde. Jede dieser Aufgaben ist für sich genommen wichtig. Und doch zeigt allein schon der Blick auf die Situation von Menschen, die Angehörige pflegen, dass diese 100 Vor-Ort-Kräfte nicht ansatzweise bedarfsdeckend sein können. Und deshalb muss ich in aller Deutlichkeit sagen, dass das, was die SPD hier beantragt, nur ein Anfang sein kann. 

Der Vergleich mit Dänemark lässt erahnen, wie dieser Teil der sozialen Infrastruktur ausgestaltet sein muss, wenn die zunehmende Vereinsamung und Isolation wirksam aufgefangen werden sollen. Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen aber auch Alte oder pflegende Angehörige haben hier einen gesetzlichen Anspruch auf sehr ausdifferenzierte Hilfen. Sie können in aller Regel frei wählen, ob diese durch kommunale oder private Anbieter erbracht werden sollen. Im Ergebnis sorgt der Staat dafür, dass Menschen mit Unterstützungsbedarf selbstbestimmt über ihre Hilfen entscheiden können und diese auch relativ unkompliziert erhalten. Natürlich ist die kommunale Struktur eine andere. Und doch wird deutlich, dass hier sehr viel mehr Ressourcen für den Bereich der Quartiersarbeit aufgewendet werden. Ich denke, wenn wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt wirksam stärken wollen, müssen wir uns zumindest ansatzweise hieran orientieren. 

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