Rede · Lars Harms · 15.12.2022 Echte Steuergerechtigkeit statt Erbschaftssteuer-klein-klein
„Wir müssten das Steuersystem insgesamt endlich mal wirkungsvoll reformieren. Das Steuerrecht gehört insgesamt einfacher, unbürokratischer und gerechter gestaltet.“
Lars Harms zu TOP 30 - Freibeträge bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer anheben (Drs. 20/501)
Die stark gestiegene Inflation betrifft quasi alle Lebensbereiche und somit auch uns alle. Alles wird teurer und gleichzeitig wird das Geld weniger wert. Der Staat soll sich jedoch nicht auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger daran bereichern. Entsprechend sind wir durchaus offen dafür, inflationsbedingte Anpassungen in verschiedenen Bereichen zu diskutieren.
Die FDP-Fraktion nimmt sich hier nun die Freibeträge bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer vor, welche sie „den aktuellen Gegebenheiten anpassen“ möchte. Tatsächlich ist dies ein gutes Stichwort; als SSW würden wir uns dieser Thematik allerdings aus einem etwas anderen, übergeordneten Winkel nähern wollen.
Die Anpassung an „aktuelle Gegebenheiten“ bedeutet für uns, dass wir an das Steuersystem insgesamt und an die Definition von Begrifflichkeiten heranmüssen. Und hier sehen wir ja, dass auf Bundesebene tatsächlich etwas passiert. Ab dem kommenden Jahr wird das Inflationsausgleichsgesetz in Kraft treten und zumindest einige inflationsbedingte Mehrbelastungen temporär ausgleichen. Dies ist immerhin ein richtiger Schritt. Viel bedeutsamer und nachhaltiger sind ja aber die aktuellen Diskussionen rund um Begrifflichkeiten und entsprechende Auswirkungen auf u.a. das Steuerrecht.
Neben der traditionellen Ehe und der eingetragenen Lebenspartnerschaft gibt es heute sehr vielfältige Lebens- und Familienmodelle. Der Familienbegriff mit all seinen Rechten und Pflichten hat sich weiterentwickelt. Auf Bundesebene wird ja aktuell über eine sogenannte „Verantwortungsgemeinschaft“ diskutiert. Familie ist überall dort, wo Menschen langfristig Verantwortung füreinander übernehmen. Entsprechend sollte das Recht diesen Lebensrealitäten angepasst werden. Und entsprechend müssen wir hier dann eben auch über Erbschafts- und Schenkungsmöglichkeiten sprechen und uns fragen: Passen die aktuell geltenden Freibeträge, die Staffelung der Steuerklassen und die komplexen Regelungen gemäß Verwandtschaftsgrad vom Grundmodell her noch in die heutige Zeit? Und sind die aktuell geltenden Freibetragsgrenzen in dieser Form angemessen? Immerhin sprechen wir hier über Freibeträge von 20.000 bis 500.000 Euro – je nach Verwandtschaftsgrad. Hier tun sich in unseren Augen ungerechte Regelungen auf: Ist ein Paar verheiratet bzw. lebt in einer eingetragenen Partnerschaft, gilt der großzügige Freibetrag. Lebt ein Paar seit Jahrzehnten zusammen, übernimmt füreinander Verantwortung, aber es fehlt dieser eine amtliche Zettel, dann gilt eine höhere Steuerklasse und eine deutlich niedrigere Freibetragsgrenze. Und wie sieht es bei Patchwork-Familien aus? Dort gelten für die Kinder unter Umständen sehr unterschiedliche Freibeträge. Ist dies eine moderne und gerechte Regelung? Sollten stattdessen vielleicht alle gleichgestellt werden – wenn ja, zu welchen Bedingungen und welchen Freibetragsgrenzen? Schließlich drückt sich Vermögen nicht nur in Geldsummen aus, sondern beispielsweise auch in Aktien, Immobilien und weiteren Gegenständen. Natürlich sollten die ganz normalen Durchschnittsleute auch weiterhin das Haus ihrer Eltern erben können – und das Erbe auch antreten können, ohne sich dafür absurderweise verschulden zu müssen. Und auch die steuerfreie Weiterreichung von hart erarbeitetem Vermögen soll auch weiterhin in einem gewissen Umfang möglich sein; schließlich soll Doppelbesteuerung vermieden werden und der Aufbau von leistungsbasiertem Vermögen soll honoriert werden.
Gleichzeitig müssen wir an die exorbitant hohen Vermögen ran. Wir müssten das Steuersystem insgesamt endlich mal wirkungsvoll reformieren. Das Steuerrecht gehört insgesamt einfacher, unbürokratischer und gerechter gestaltet. Insofern benennt der vorliegende Antrag nur ein kleines Stellschräubchen. Zumal grundsätzlich noch einmal im Detail darüber beraten werden müsste, für wen eigentlich welche Freibetragsgrenzen gelten sollten, für wen aus welchem Grund nicht und ob das aktuelle System überhaupt noch in diesem Maße mit der Realität und in Hinblick auf die Gerechtigkeitsfrage in Einklang zu bringen ist. Darüber können wir dann gern im Ausschuss noch einmal diskutieren.