Rede · Jette Waldinger-Thiering · 24.05.2024 Der Kompromiss gehört zur Demokratie

„Die Menschen in Schleswig-Holstein wollen mehr Mitbestimmung und nicht weniger.“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 3 + 13 - Zweite Lesung der Entwürfe der Gesetze zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften (Drs. 20/1792, 20/2074, 20/2137)

Es ist vollkommen in Ordnung, dass es einen Kompromiss gibt. 
Wir als SSW sind froh, dass aus Sicht des Bündnisses „Rettet den Bürgerentscheid!“ kein Bürgerentscheid mehr nötig ist. Und das sage ich obwohl oder gerade, weil wir, wie viele andere Organisationen auch, Teil der Initiative waren. 
Etwa 50 Initiativen hatten sich zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen die Regierungspläne zum Demokratieabbau vorzugehen. 
Dieses Bündnis setzte sich zusammen aus verschiedenen Bürgerinitiativen, Mehr Demokratie e.V., Attac, dem BUND, grünen Kreis- und Ortsverbänden, der SPD, der Linken, den Piraten, Merret reicht’s von Sylt und Föhr, Parteijugenden, landwirtschaftlichen und Naturschutzverbänden. 
Sie alle, wir alle zusammen, haben mit dieser Initiative das Schlimmste verhindern können. 
Ich möchte trotzdem einmal den Blick zurück wagen. Wie sind wir eigentlich gestartet? 
Die von Ihnen in ihrem Koalitionsvertrag angekündigte Generalklausel, nach der Sie der Landesregierung die Macht erteilen wollten, nach eigener Einschätzung über die sogenannte „unverzichtbare Voraussetzung für Infrastruktur- oder Investitionsvorhaben von landes- oder bundesweiter Bedeutung“ Bürgerbegehren generell nicht zu erlauben, sind Sie gar nicht erst angegangen. Man mag es der guten Oppositionsarbeit zuschreiben oder der klugen Beratung in ihren eigenen Ministerien – gut jedenfalls, dass das nicht der Einstieg war.  
Stattdessen war der Beginn dieser mittlerweile ein-einhalb-Jahre-alten parlamentarischen Auseinandersetzung, das Ziel der Koalition, bei Zweidrittel-Mehrheiten in Gemeindevertretungen Bürgerentscheide generell nicht mehr zuzulassen. Gemeinden, deren Vertretungen mehr als 31 Mitglieder haben, sollten zudem selbst entscheiden können, ob sie die Mindestgröße ihrer Fraktionen anheben. Wir hätten damit ein unterschiedliches Kommunalrecht in Schleswig-Holstein bekommen. 
Dann durchliefen wir die Beratung im Innenausschuss. Es war lang und intensiv und ich möchte mich auch jetzt noch einmal bei den Anzuhörenden bedanken, die damals wirklich viel Einsatz gezeigt und vor allem Geduld bewiesen haben. 
Schwarz-grün hat daraufhin noch ein paar Änderungen am Gesetzesentwurf vorgenommen. 
Abgestimmt wurde ein Gesetz, das Bürgerbegehren bei Bauvorhaben, bei denen es im Gemeinderat eine Zwei-Drittel-Mehrheit gab, als unzulässig erklärte. Mindestfraktionsgrößen wurden allgemeingültig für die Kommunen von zwei auf drei angehoben. 
Beides schränkt die demokratischen Mitbestimmungsrechte unserer Bürgerinnen und Bürger ein.
Ich kann daher durchaus respektvoll anerkennen, dass es von einem guten diplomatischen Vorgehen zeugt, wenn nach diesem Vorlauf, einer daraufhin gestarteten erfolgreichen Volksinitiative und ersten Vorbereitungen für ein Volksbegehren zu Verhandlungen zwischen Regierungsfraktionen und Initiative zu einem Kompromiss kommt. Es ist zwar ein Kompromiss, bei dem Quoren für Bürgerbegehren erhöht werden. Aber es ist ein Kompromiss. 
Deswegen danke ich an dieser Stelle „Mehr Demokratie“ und allen Beteiligten der Initiative „Bürgerbegehren retten“.  Und ich möchten allen danken, die dafür gesorgt haben, dass das erforderliche Quorum erreicht wird. 
Wir selber, als SSW haben immer da, wo sich die Gelegenheit geboten hat, Unterschriften gesammelt. Ich habe nur die Papierhaufen gesehen, es dürfen Tausende gewesen sein. Alles in allem wurde das erforderliche Quorum von 20.000 Stimmen mit 25.363 zulässigen Unterschriften weit übertroffen. Und das, in nicht einmal der Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit. Mein Kollege Lars Harms hat es in der letzten Debatte schon gesagt, aber ich möchte noch einmal wiederholen, wie viel Respekt wir alle zusammen vor diesem Erfolg haben. Bürgerbegehren, Quoren, demokratische Mitbestimmung, die über den parlamentarischen Rahmen hinaus geht, sind keine einfachen und vor allem keine allgegenwärtigen Themen. Aber eins dürfte nun allen klar sein: die Menschen in Schleswig-Holstein wollen mehr Mitbestimmung und nicht weniger. 
 

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