Rede · Christian Dirschauer · 16.12.2021 Es liegt noch ein weiter Weg vor uns

„Wenn es um Politik für und mit Menschen mit Behinderung geht, muss aus Sicht des SSW eins klar sein: Übergeordnetes Ziel ist das völlig selbstverständliche Zusammenleben in Vielfalt.“

Christian Dirschauer zu TOP 23 + 37 - Verlängerung des Fonds für Barrierefreiheit und Fokus-Landesaktionsplan 2022 zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Land Schleswig-Holstein (Drs. 19/3477 und 19/3432 (neu))

Die Bundesrepublik Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention bereits Anfang 2009 ratifiziert. Seit dem Inkrafttreten am 26. März 2009 ist sie geltendes Recht, das von allen staatlichen Stellen umgesetzt werden muss. Oberstes Ziel ist die volle und gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen. Doch für eine wirklich inklusive Gesellschaft, in der diese umfassende Teilhabe ganz selbstverständlich ist, müssen noch unterschiedlichste Barrieren abgebaut werden. Für den SSW war und ist dabei völlig klar, dass hierfür ein tiefgreifender und damit auch langfristiger Prozess nötig ist. Der vorliegende Aktionsplan aber auch der Fonds für Barrierefreiheit sind Belege dafür, dass hier schon einiges bewegt wird. Das begrüßen wir vom SSW sehr. Aber wenn wir ehrlich sind, dann liegt eben auch noch ein weiter Weg vor uns. 

Auch wenn uns der Status Quo in Sachen Inklusion nicht ausreicht, geht es mir hier nicht um schlichte Regierungskritik. Es geht vielmehr darum, dass wir alle aufgerufen sind, am Ball zu bleiben und diesen Prozess fortzuführen. Denn wenn es zum Beispiel um das Recht auf Selbstbestimmung oder um unseren Anspruch geht, Menschen mit Behinderungen umfassend zu beteiligen, gibt es noch viele Baustellen. In der Praxis kommt ein Kita- oder Schulkind mit Handicap längst nicht immer zu seinem Recht auf gute Bildung. Und längst nicht jeder Mensch mit Behinderung findet einen guten Arbeitsplatz. So darf es nicht bleiben und deshalb ist uns sehr wichtig, dass niemand bevormundet und keinem Betroffenen die Chance auf Teilhabe verbaut wird. 

Ich habe es angedeutet: Sowohl der Umsetzungsbericht wie auch der Antrag auf Verlängerung des Fonds für Barrierefreiheit sind gut und richtig. Mit dem Fonds soll weniger der Bau von Rampen, sondern vielmehr inklusive Sozialräume insgesamt gefördert werden. Auch wenn wir hiermit, trotz der Aufstockung, sicher nicht das ganze Land verändern werden, können wir diese Initiative unterstützen. Und auch den Bericht sehen wir grundsätzlich positiv. Denn hier sind über 50 Einzelmaßnahmen formuliert, die gewiss dabei helfen, sich einer inklusiven Gesellschaft zumindest weiter anzunähern. Wichtige Aspekte wie etwa Bewusstseinsbildung, Partizipation und Befähigung, der weitere Abbau von Barrieren oder der so wichtige Ausbau der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sind erwähnt. Unter den Beteiligten finden sich häufig Menschen mit Behinderungen, beziehungsweise ihre Vereine und Verbände und die Beauftragte. Das freut uns und für den Einsatz aller Beteiligten möchten auch wir uns gerne bedanken. 

Und doch muss ich ein wenig Wasser in den Wein schütten: Denn Menschen mit Behinderungen wurden zwar beteiligt, aber sie konnten bei keiner einzigen dieser 53 Maßnahmen wirklich konkret mitwirken. Alles wurde in den jeweiligen Ressorts erarbeitet und damit vorgegeben. Betroffene konnten zwar Wünsche äußern und wurden im weiteren Verfahren beteiligt. Aber mir ist kein Verband bekannt, der bei der Frage der grundlegenden Zielsetzung und bei der Entwicklung einer konkreten Maßnahme mit am Tisch saß. Ich denke, Mitwirkung lässt sich durchaus auch anders definieren und würde mich freuen, wenn wir das in Zukunft besser hinbekommen. Und zwar nicht zuletzt, weil die Aktionen und Ziele zur Umsetzung der UN-BRK dadurch sicher noch konkreter und schärfer formuliert werden könnten. 

Wenn es um Politik für und mit Menschen mit Behinderung geht, muss aus Sicht des SSW eins klar sein: Übergeordnetes Ziel ist das völlig selbstverständliche Zusammenleben in Vielfalt. Deshalb müssen sich alle für einen angemessenen Lebensstandard und sozialen Schutz von Frauen und Männern mit Handicap einsetzen. Aber vor allem wir politisch Verantwortlichen müssen uns an den Zielen der Konvention messen lassen. Und wenn es um konkrete Verbesserungen für die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderungen geht, gibt es nun mal reichlich Luft nach oben. Das zeigt längst nicht nur der Umgang der Koalition mit unserer Forderung nach kommunalen Beauftragten, die ja ohne plausibles Gegenargument abgelehnt wurden. Sondern auch die Tatsache, dass Neubauten bis heute nicht grundsätzlich barrierefrei gestaltet werden müssen. Oder dass Menschen mit Behinderungen ihren Arzt oder ihre Ärztin nicht frei wählen können, weil barrierefreie Praxen allein schon mangels barrierefreiem ÖPNV nicht erreichbar oder schlicht gar nicht vorhanden sind. Ich denke diese Dinge zeigen, dass es noch viel zu tun gibt. Und hier sind wir alle gefragt.

 

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