Rede · Lars Harms · 15.06.2023 Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ist willkürlich

„Es muss vielmehr um die Bekämpfung von Fluchtursachen gehen.“

Lars Harms zu TOP 22 - Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten (Drs. 20/1058)

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich finde das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ nach wie vor intransparent. Die Begrifflichkeit wurde in den 90er-Jahren neben anderen Einschränkungen des individuellen Rechts auf Asyl geprägt. Und sie vermittelt, dass es um Sicherheit gehen würde. Ehrlicher wäre es, einfach von Ländern mit vergleichsweise geringen Anerkennungschancen im eigentlich Asylverfahren zu sprechen. Ehrlicher wäre es, dazu zu stehen, dass es bei der Ausweisung vermeintlich sicherer Herkunftsstaaten vor allem um verkürzte Verfahren geht. In der Praxis bedeutet es, dass auch die Klagefristen gegen einen negativen Asylbescheid auf eine Woche verkürzt werden. Und das kann eben für die Antragssteller entscheidend sein. 

Zum anderen erhoffte man sich eine abschreckende Wirkung. Die Nachricht soll sein: Wir werden euch nicht aufnehmen! Das, was bei dem Konzept der sicheren Herkunftsländer geschieht, ist eine Beweislastumkehr durch Änderungen im Asylrecht. Und zwar auf Zuruf, mit unterschiedlichen Einstufungen in Europa und mehr oder weniger willkürlich gesetzten prozentualen Grenzen. Deswegen finde ich einen Aspekt des FDP-Antrags richtig: der, in dem es darum geht, sich für ein regelmäßiges und geordnetes Verfahren auf Bundesebene einzusetzen. Dem Rest allerdings können wir als SSW nicht zustimmen. 
Und das hat sich auch nicht mit dem neuen Antrag der FDP geändert, der im Übrigen aus unserer Sicht den Inhalt des Antrages komplett verändert und mit GEAS eine neue politische Ebene mit einbringt. Egal wie man zu den Aufnahmezentren an den EU-Außengrenzen steht, muss es doch auch dort um faire Asylverfahren gehen. Und das schließt dann auch dort willkürlich definierte sichere Herkunftsstaaten aus.

Ich möchte einmal auf die Situation in den direkt genannten Staaten eingehen: 

Die Zukunft Georgiens ist zur Zeit ungewiss. Die große Mehrheit der Bevölkerung strebt in die EU und fürchtet eine neue russische Invasion. Umfragen bestätigen, dass etwa 80% der Bürgerinnen und Bürger einen EU-Beitritt befürworten. Die Regierung jedoch verfolgt momentan einen pro-russischen Kurs. Am 05. Juli 2021 ist es bei einer CSD-Demonstration zu massiven Ausschreitungen von rechten Schlägern gekommen. Ein Kameramann starb an den Folgen der Angriffe. Die Täter wurden trotz Beweismaterial nicht belangt. Opposition und Regierung beschimpfen sich gegenseitig der Lügen, Korruption und Manipulation. Und die Bevölkerung scheint weder der einen Seite noch der anderen wirklich zu glauben. Erst 2008 hat Russland im sogenannten 5-Tage-Krieg über Luft, Land und See angegriffen. Hunderte Menschen sind gestorben, tausende flohen. Eine russische Invasion könnte Tiflis in 20 Minuten erreichen. Für mich klingt das nicht sicher.

Zur Republik Moldau: Vor wenigen Tagen haben wir das Gipfeltreffen der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft in Moldau mitverfolgen können. Im Vorfeld des Gipfels wurde von der EU-Kommission ein mehrere 100 Millionen schweres Hilfspaket für die Republik Moldau angekündigt. Zum einen, um die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu lindern, zum anderen um direkt moldauische Firmen zu stärken und die Infrastruktur auszubauen. Der EU-Beitritt scheint damit näher zu rücken. Und doch vermag das nicht über die dortige Situation der Roma hinwegzutäuschen. Die Minderheit der Roma lebt heute oftmals abgeschnitten von der Mehrheitsgesellschaft, in Regionen ohne fließend Wasser, Strom und Heizung. Sie finden keine regulären Beschäftigungen und sind gezwungen, illegal und schutzlos zu arbeiten. Sie haben kaum Zugang zum Gesundheitssystem und sind oftmals deutlicher Schlechterbehandlung durch die Polizei ausgesetzt. Die Kinder stehen zudem vor massiven Bildungshindernissen. Roma werden in der Republik Moldau auf vielfältige Weise und so drastisch diskriminiert, dass es für sie existenzielle Folgen hat, so das Fazit der Untersuchung. Auch das klingt für mich nicht sicher. 

In den vergangenen beiden Jahren stellten jeweils rund 2.400 Menschen aus der Republik Moldau einen Asylerstantrag in Deutschland. Seit November 2022 waren es knapp unter 3.000 Menschen mit georgischem Pass. Die Asylanerkennungsquote nach Art. 16a GG aus beiden Ländern liegt bei unter einem Prozent. Allerdings ist denkbar, dass viele subsidiären Schutz erhalten. Man muss sich daher fragen, ob man, gerade auch mit Blick auf die Asyldebatten, die auf europäischer Ebene gerade geführt werden, nicht vielmehr um die Bekämpfung von Fluchtursachen gehen sollte. 
Ich kann für den SSW sagen: Ja. Und daher ist unsere Antwort auf diesen Antrag: Nein. 

 

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