Rede · Sybilla Nitsch · 31.08.2022 Atomstrom ist keine Lösung!

„Absurd: wir diskutieren über einen Energiemangel und schalten trotzdem regelmäßig unseren sauberen, billigen Windstrom ab, weil wir ihn im Jahr 2022 immer noch nicht abtransportieren oder speichern können.“

Sybilla Nitsch zu TOP 30 - Jede Kilowattstunde zählt  (Drs. 20/ 138)

Jede Kilowattstunde zählt, so lautet der Antrag der FDP-Fraktion. Grundsätzlich bin ich da ganz bei Ihnen: die Energiepreise steigen in schwindelerregende Höhen und vor diesem Hintergrund zählt natürlich jede Kilowattstunde. Aber zählt auch wirklich jede Kilowattstunde Atomstrom? 
Nein, so einfach ist es eben nicht. Wir alle wissen, wenn ein Atommeiler läuft, dann läuft er. Den kann man nicht regeln. Nun ist es aber so, dass ein Großteil des in Deutschland produzierten Stroms eben der Strom aus erneuerbaren Energien ist. Und diese sind es, die in Konkurrenz zum Atomstrom treten. 
Haben wir viel Wind und die Sonne scheint, haben wir im Zweifel zu viel Strom im Netz. Dann müssen wir die Windanlagen vom Netz nehmen, weil der Atomstrom nicht gesteuert werden kann. 
Und weil wir den Ausbau der Netze und Speicherkapazitäten für die Erneuerbaren Energien bisher verschlafen haben! Natürlich müssen wir hier bessere Voraussetzungen schaffen, aber das hätten wir längst schon tun sollen! Auch ohne Energiekrise!
Die drei noch verbleibenden Atomkraftwerke leisten einen Beitrag von ca. 6% zur deutschen Stromproduktion. Senken wir die Preise für die Verbraucher, wenn diese Produzenten am Netz bleiben? Leider nein, denn wie gesagt, es sind der Atomstrom und die erneuerbaren Energien, die in Konkurrenz zueinander treten im deutschen Stromnetz. Die hohen Preise entstehen aber durch den Strom, der aus Erdgas produziert wird. Kann der Atomstrom den teuren Gasstrom ersetzen? Auch das nicht, weil der Gasstrom kurzfristig gebraucht wird, wenn wir Flaute und einen bewölkten Himmel haben. 
Und da wird es absurd: wir diskutieren über einen Energiemangel und schalten trotzdem regelmäßig unseren sauberen, billigen Windstrom ab, weil wir ihn im Jahr 2022 immer noch nicht abtransportieren oder speichern können. 

Und nun? Nun müssen wir regional denken! Und innovativ! Dann brauchen wir auch keine Atommeiler mit veralteter Technik mehr. Was wir brauchen, sind intelligente Speicherlösungen und eine Steuerung der Verbrauchsmengen und zwar regional! 
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: eine Papierfabrik benötigt Holzschnitzel als Grundstoff. Diese zu produzieren ist energieintensiv. Wie wäre es, wenn das Unternehmen das Holz dann häckselt, wenn der Wind weht und dann Lagerhaltung betreibt? Und wenn dann der Wind nicht weht, kann die Papierfabrik dem Netz sogar Strom, den sie aktuell nicht braucht, zur Verfügung stellen. Auch die immer größer werdende Flotte von E-Fahrzeugen kann als Stromspeicher dienen und dann bei Bedarf wieder Strom ins Netz zurückspeisen. Dasselbe gilt für die Produktion von grünem Wasserstoff, den wir auch zur Wärmeproduktion verwenden können. Und im Biogasbereich sollte nicht nur die Deckelung der Produktion wegfallen, es muss auch verbindliche Wärmekonzepte für die Anlagen geben. Nahwärme aus der Region ist einer der Schlüssel für bezahlbare Energie! All das ist schon heute technisch möglich, wir müssen nur endlich dafür sorgen, dass die notwendige Infrastruktur geschaffen wird! 

Die Bundesregierung hat einer Laufzeitverlängerung der verbliebenen drei Atomkraftwerke bereits eine Absage erteilt und das aus gutem Grund. Seit 2009 hat keine grundlegende Sicherheitsüberprüfung der Kraftwerke mehr stattgefunden vor dem Hintergrund, dass die Meiler ja ohnehin spätestens 2022 vom Netz gehen. Was bedeutet das für die Sicherheit der Kraftwerke? Im besten Falle nichts, aber was, wenn doch? Dann waren das teure Kilowattstunden! Zumal der Weiterbetrieb der Anlagen für mehrere Jahre rechtlich aktuell nicht möglich ist. Dasselbe gilt im Übrigen für das Wiederanfahren bereits abgeschalteter Kraftwerke, wie etwa Brokdorf. Wir sprechen hier von Anlagen aus den 1970er und 80er Jahren, die nicht mehr den heute geltenden Standards von Sicherheit und Technik entsprechen. 

Es ist doch Augenwischerei, den Menschen verkaufen zu wollen, dass die Atomkraft nun der Schlüssel zu einer sicheren Energieversorgung ist, während gleichzeitig die Franzosen den europäischen Strommarkt leer kaufen, weil dort die meisten Atomkraftwerke aktuell stillstehen. Die deutschen Atomkraftwerke gehören Ende des Jahres endgültig abgeschaltet! Die Zukunft liegt in den erneuerbaren Energien. Da müssen wir jetzt konsequent investieren, statt krampfhaft an Atom- und Kohlestrom festzuhalten!

 

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