Speech · Jette Waldinger-Thiering · 22.11.2024 Wir sparen an den Schwächsten in unserer Gesellschaft
„15 Millionen Euro lassen wir uns im kommenden Jahr eine Wasserstoffstrategie kosten, für Northvolt wollen wir sogar 137 Millionen berappen. Aber für gewaltbetroffene Frauen sollen im kommenden Haushalt 100.000 Euro eingespart werden an der psychosozialen Prozessbegleitung. Sollen die Frauen doch selbst sehen, wie sie den Prozess gegen ihren Peiniger überstehen.“
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 40 - Fortschrittsbericht zum Kompetenzzentrum gegen geschlechtsspezifische Gewalt (Drs. 20/2645)
Am 25. November ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Seit 1981 wird dieser Tag weltweit jährlich begangen. Also seit über 40 Jahren! Und trotz aller öffentlichen Aufmerksamkeit zeigen die statistischen Zahlen: die Gewalt gegen Frauen - und auch gegen Kinder - nimmt nicht ab, sie nimmt zu. Und zwar nicht nur in Ländern mit einem zweifelhaften Frauenbild, sondern hier bei uns in Deutschland.
Und Gewalt ist längst kein Problem marginalisierter Gruppen, sie kommt bei Reichen und Armen, Gebildeten und weniger Gebildeten vor. Sie ist ein Phänomen, nein, ein Skandal, in der Mitte unserer Gesellschaft. Und da müssen wir sie bekämpfen, gemeinsam! Insofern war es richtig, das Kompetenzzentrum gegen geschlechtsspezifische Gewalt auf den Weg zu bringen. Und die Zahlen des Berichtes zeigen, dass das Zentrum sich auf dem richtigen Weg befindet. Fachlich kompetente Akteure wirken hier zusammen, um präventiv gegen Gewalt an Frauen vorzugehen. Die Akteurinnen stellen fest, dass die Arbeit des Kompetenzzentrums mit den Projekten Prävio und OMÄGA ganz konkret dazu beiträgt, die vorhandenen Beratungsstellen zu entlasten.
Zudem liegt eben ein Fokus auf der verstärkten Gewaltprävention. Dies ist ein wichtiger Ansatz, damit Gewalt, sowohl körperliche als auch sexualisierte Gewalt, gar nicht erst einen Nährboden finden. Gerade hier in Schleswig-Holstein sind wir seit Jahren auf einem guten Weg, was die Unterstützung für gewaltbetroffene Frauen und Kinder angeht. Die Frauenhäuser haben Plätze ausgebaut, die gemeinsame Finanzierung von Land und Kommunen ist hier beispielhaft für viele andere Bundesländer. Wir haben das Hochrisikomanagement eingeführt, um den besonders gefährdeten Frauen in größerem Umfang gerecht werden zu können, wir bieten eine psychosoziale Prozessbegleitung an, die deutlich über das vom Bundesgesetzgeber vorgesehene Mindestmaß hinausgeht.
Nun aber stehen wir vor sinkenden Einnahmen bei steigenden Kosten und der kommende Haushalt wird ein Sparhaushalt. Und es passiert das, was nicht passieren darf: wir sparen an den Schwächsten in unserer Gesellschaft. 15 Millionen Euro lassen wir uns im kommenden Jahr eine Wasserstoffstrategie kosten, für Northvolt wollen wir sogar 137 Millionen berappen.
Aber für gewaltbetroffene Frauen sollen im kommenden Haushalt 100.000 Euro eingespart werden an der psychosozialen Prozessbegleitung. Sollen die Frauen doch selbst sehen, wie sie den Prozess gegen ihren Peiniger überstehen. Auch die Unterstützung für Kinder, die Opfer häuslicher Gewalt wurden, soll im kommenden Jahr um 230.000 Euro gekürzt werden. Wir können uns bei knappen Kassen ja nun mal nicht um alles kümmern!
Und das Hochrisikomanamagent: gut gedacht, aber leider nicht ausfinanziert. Die Beratungsstellen haben dadurch mehr und noch belastendere Aufgaben bekommen, aber mehr Mittel um dann auch entsprechendes Personal einzustellen, sind wir ihnen schuldig geblieben. Die Summen, von denen wir hier sprechen, sind, gemessen an einem Gesamthaushalt von etwa 17 Milliarden Euro nur Peanuts. Und trotzdem sparen wir die Peanuts ein. Warum? Weil die, an denen hier gespart wird, die kleinere Lobby haben. Wir sparen also kleine Beträge an den Kleinen ein, um für die großen Projekte Geld zu haben. Weil es, wenn wir ehrlich sind, oft leichter ist, 100 Millionen durchzuwinken als 100.000 Euro. Das ist eben abstrakter.
Würden wir uns nur eine Wasserstoffstrategie für fünf Millionen Euro leisten, könnten wir die Hilfe für gewaltbetroffene Frauen und Kinder sogar deutlich erhöhen, bei gleicher Sparsumme im Gesamthaushalt. Wir haben für diese Frauen und Kinder eine Verantwortung. Ebenso wie der Bund sie hat, der endlich das Gewaltschutzgesetz verabschieden muss. So ein wichtiges Thema darf nicht politischem Machtgehabe zum Opfer fallen. Wir alle müssen unserer Verantwortung für diese Frauen nachkommen. Sie haben sonst keine Stimme!