Speech · Lars Harms · 22.09.2023 Wer es ernst meint, muss auch ernst machen
„Rassismus ist ein Standortnachteil für diese Republik!“
Lars Harms zu TOP 54 - Umsetzung des Landesaktionsplans gegen Rassismus (Drs. 20/1319)
2019 ist ein Sachbuch erschienen, das seitdem viel Aufmerksam bekommen hat. Auch das Büro unseres Beauftragten für Politische Bildung hat ja eine Veranstaltung mit der Autorin, Alice Hasters, durchgeführt.
Es geht in dem Buch darum, was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten – so sagt es schon der Titel. Alice Hasters erklärt darin, warum Rassismus eben nicht nur ein individuelles Problem durch einzelne Handlungen ist, sondern ein historisches entstandenes System, das mit der Absicht aufgebaut worden ist, eine Hierarchie rassifizierter Gruppen herzustellen. Es geht um Rangordnungen, es geht um Macht.
Rassismus ist ein über Jahrhunderte gewachsenes System. Es hat zum ersten organisierten Völkermord der Geschichte durch deutsche Kolonialbesetzer an den Herero und Nama geführt.
In letzter Instanz stand in Deutschland der Holocaust am Ende rassistischer Verkettung.
Deswegen war es uns als SSW besonders wichtig, dass die schleswig-holsteinische Kolonialgeschichte auch hier im Parlament Aufmerksamkeit erfährt und die Auswirkungen der Kolonialverbrechen parlamentarisch behandelt werden. Vielen Menschen ist immer noch nicht klar, warum bestimmte Waren als Kolonialwaren betitelt wurden, wo sie herkamen und vor allem unter welchen Umständen. Vielen Menschen ist auch heute immer noch nicht klar, dass die Versklavung schwarzer Menschen daraus rührte, dass in der Kolonialzeit auch Menschen zu Waren wurden.
Es ist daher wirklich gut, dass wir in Schleswig-Holstein einen Landesaktionsplan gegen Rassismus bekommen haben und alle Ministerien verantwortlich für Maßnahmen gegen Rassismus sein sollen. Dabei wird im Landesaktionsplan ausdrücklich wert darauf gelegt, dass die Maßnahmen nicht nur die individuelle, sondern auch die strukturelle und institutionelle Ebene von Rassismus adressieren.
Schleswig-Holstein ist eines der ersten Bundesländer, die die sich selbst ein Programm dieser Art auferlegt haben und das erkennen wir als SSW wirklich an.
Gleichzeitig muss ich aber sagen, dass mich einige Abschnitte im Bericht enttäusch haben.
Da wird zu oft noch „derzeit intern abgestimmt“ oder geplant, Abfragen zu „etwaigen Informationsbedarfen“ durchzuführen.
Da wurde, anknüpfend an die IMAG zur Erstellung des Aktionsplans ein Jour fixe beim Landesdemokratiezentrum zur weiteren Umsetzung eingerichtet. Die unterschiedlichen Ressorts würden dieses jedoch aus Kapazitätsgründen häufig nicht mehr in Anspruch nehmen.
Beschlossene Informationsveranstaltungen und Sensibilisierungsworkshops haben laut Bericht durch die Coronapandemie nicht stattfinden können. Einige Ministerien würden diese nun nachholen wollen. Andere jedoch haben bereits verkündet, dass sie keinen Bedarf mehr sehen.
Mir scheint, hier mahlen die Mühlen langsamer als nötig. Und bei einigen Ministerien ist ordentlich Sand im Getriebe.
Das Umweltministerium kündigt bereits jetzt an, Mittel für außerschulische Lernorte im Bereich der nachhaltigen Entwicklung oder Kooperationen mit dem Bündnis Eine Welt aufgrund anstehender Kürzungen nicht ohne weiteres weiterführen zu können. Zwei Maßnahmen waren für das Ministerium vorgesehen. Zwei Maßnahmen werden womöglich eingestampft.
Das Wirtschaftsministerium hat zwar die ihm zugeteilte Maßnahme der Erörterung eines Handlungsbedarfes an Rassismus-Sensibilisierung abgeschlossen und Gespräche mit dem Mittelstandbeirat geführt. Schritte der Umsetzung aus diesen Beratungen würden aber durch andere Herausforderungen erschwert. Energiekosten, Auswirkungen der Pandemie und Fachkräftemangel würden dazu führen, dass Maßnahmen gegen Rassismus nicht vorrangig behandelt werden.
Mir kommt das wie ein sehr, sehr merkwürdiges Abwägen vor. Kann man sich erst um Rassismus kümmern, wenn der Strom nicht mehr so teuer ist?
Und für das Landwirtschaftsministerium seien, abgesehen von ressortübergreifenden Maßnahmen, keine weiteren Maßnahmen vorgesehen. Ich möchte da einfach nur mal beispielhaft auf etwas hinweisen. Es gibt Orte, in denen kommen 85 bis 90 Prozent der Erntehelferinnen und -helfer aus Rumänien. Wir sind auf diese Menschen angewiesen. Und wir sind darauf angewiesen, dass sie gerne wieder zu uns kommen. Dafür darf man sich auch als Ministerium gerne zuständig fühlen.
Rassismus ist ein Standortnachteil für diese Republik!
Wirklich lobend hervorheben möchte ich abschließend einmal die Staatskanzlei. Bei den von der Staatskanzlei ausgerichteten Ausbildungsmessen gibt es eine enge Zusammenarbeit mit der Türkischen Gemeinde, die im Vorfeld für die Messen wirbt und junge Menschen mit Migrationshintergrund gezielt anspricht. Das darf gerne auch mit anderen Communities ausgebaut werden!
Ich finde das so lobenswert, weil eine der besten Antidiskriminierungsmaßnahmen ist, Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind, in die öffentliche Verwaltung einzustellen.
Es ist nicht alles schlecht an diesem Bericht. Und schon gar nicht am Landesaktionsplan selbst.
Aber wer es ernst meint, muss auch Ernst machen.