Speech · Christian Dirschauer · 20.03.2024 Soziale Gerechtigkeit geht anders
„Es mag populärere Entscheidungen geben, als Geld für unserer soziale Infrastruktur und Prävention in die Hand zu nehmen. Aber langfristig gibt es nun mal kaum etwas Wichtigeres.“
Christian Dirschauer zu TOP 2+4+22+34+42 - Haushaltsdebatte (Einzelplan 10)
Für uns vom SSW hat der Sozialbereich – und damit eben auch dieser Einzelplan 10 – eine herausragende Bedeutung. Wir halten es für unsere Pflicht, auch diejenigen in den Blick zu nehmen, die am Rand der Gesellschaft stehen und unsere Solidarität und vielleicht auch ganz konkrete Hilfe brauchen. Und uns ist aus unserer Tradition heraus wichtig, dass wir auch an diejenigen denken, die eher wenig Geld verdienen und mitunter nur so gerade über die Runden kommen.
Wir müssen sicherstellen, dass auch diejenigen die keine große Lobby haben, wie etwa Alleinerziehende, Geringverdienende, von Altersarmut Bedrohte oder Menschen mit Behinderungen ein würdevolles Leben führen können. Denn dieses würdevolle Leben ist leider auch hier bei uns im Land keine Selbstverständlichkeit. Angebote wie die Tafeln, die wir am liebsten mangels Nachfrage schließen würden, werden seit Jahren förmlich überrannt. Alters- und Kinderarmut bleiben auf einem viel zu hohen Niveau. Menschen mit Behinderungen stoßen beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder Gesundheitssystem noch immer auf große Barrieren. Und wenn ich mir die Betreuungssituation unseres Kitakindes anschaue, dann ist auch der Weg zum familienfreundlichsten Bundesland noch sehr, sehr weit.
Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, wie wichtig fortlaufende Investitionen in unsere soziale Infrastruktur sind. Wenn wir diese Infrastruktur und auch unsere Bildungseinrichtungen auskömmlich finanzieren, stellen wir sicher, dass schon unsere Kinder möglichst gute Startbedingungen bekommen. Das ist eine wichtige Grundlage für ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben. Und auch dies verringert nicht zuletzt das Armutsrisiko und das Risiko, langfristig auf soziale Leistungen angewiesen zu sein. Ein solcher sozialer Schwerpunkt hilft also dabei, ungleich verteilte Chancen anzugleichen und Risiken, etwa für Armut oder Erkrankungen, zu minimieren. Das mag man naiv finden. Denn auch mir ist klar, dass es populärere Entscheidungen gibt, als viel Geld für langfristige, soziale und präventive Maßnahmen in die Hand zu nehmen. Aber letztlich gibt es nun mal kaum etwas Wichtigeres.
Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf den Landeshaushalt 2024 muss ich daher eins ganz deutlich sagen: Die schwarz-grüne Landesregierung wird diesem Anspruch nicht in dem Umfang gerecht, den wir für nötig halten. Zumindest aus sozialpolitischer Sicht hat dieser Haushalt zwar Licht, aber durchaus auch Schatten. Natürlich begrüßen wir es, wenn beispielsweise Mittel für die Aidshilfe, Suizidprävention oder für kleinere Projekte zum Drug-Checking bereitgestellt werden. Aber mit Blick auf den gesamten Einzelplan bleiben weiterhin erhebliche Zweifel. Und zwar daran, ob dieser Einsatz ausreicht, um die Gesellschaft zusammenzuhalten und diejenigen mitzunehmen, die am Rand unserer Gesellschaft stehen.
Wenn wir uns zum Beispiel den Alltag junger Familien anschauen, dann haben wir mit unserem Haushaltsantrag zum kostenlosen Essen in Kita und Tagespflege zum wiederholten Mal eine spürbare Entlastung beantragt. Und zwar zielgerichtet für Familien mit kleinen Kindern, die diese Unterstützung besonders dringend brauchen. Wie richtig wir mit dieser Maßnahme liegen, bestätigt nicht zuletzt der Bürgerrat auf Bundesebene. Hier wurde exakt dieser Punkt gefordert und völlig zurecht unterstrichen, wie wichtig die Frage der Ernährung auch und gerade in der frühkindlichen Bildung ist. Doch leider bleiben CDU und Grüne in dieser Sache völlig unbeweglich.
Ähnliches gilt für die Leistungen für blinde und gehörlose Menschen im Land. Wir haben uns zwar wiederholt in den Ausschüssen und Haushaltsberatungen dafür eingesetzt, dass taube, sehbehinderte und eben auch gehörlose Menschen stärker am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Und das nicht etwa durch einen finanziellen Nachteilsausgleich auf einem Luxuslevel, sondern schlicht auf dem Durchschnittsniveau aller Bundesländer. Aber offenbar können sich CDU und Grüne nicht einmal zu einem kleinen Schritt in diese Richtung durchringen.
Wir wissen, dass auch dieser Haushalt keine großen Spielräume bietet. Gleichzeitig wurde wirklich oft genug betont, dass die Ministerien zur Konsolidierung beitragen müssen. Und doch muss ich ehrlich sagen, dass mich so manche schwarz-grüne Entscheidung in den Bereichen Soziales und Gesundheit verwundert: So zum Beispiel die grundsätzliche Ablehnung einer Förderung von Trans:support. Einem peerbasierten Verein, der sich der wichtigen Aufgabe widmet, Transgender und nichtbinäre Personen in Schleswig-Holstein kostenlos und anonym zu beraten und bei trans*feindlichen Vorfällen zu helfen. Wir hätten uns sehr gewünscht, dass die regierungstragenden Fraktionen unserem Antrag folgen. Doch passiert ist leider nichts.
Das ist aus unserer Sicht nicht nur ähnlich schwer nachvollziehbar, sondern vor allem auch ähnlich enttäuschend, wie die Ablehnung einer vernünftigen Gesundheitsversorgung aller Menschen im Land. Denn auch den Aufbau einer entsprechenden Beratungs- und Behandlungsinfrastruktur für Menschen ohne Papiere haben wir beantragt. Doch auch diese Maßnahme wird offensichtlich für entbehrlich gehalten. Und dass, obwohl die rund 170.000 Euro zur Professionalisierung der Arbeit der Medibüros in Kiel und Lübeck nun wirklich nicht zu hoch gegriffen sind. Im Ergebnis verlässt sich schwarz-grün damit weiterhin auf ehrenamtliches Engagement und Spendenbereitschaft. Das ist nicht nur mit Blick auf die Betroffenen ein sehr trauriges Bild.
Dass Deutschland bei der Bekämpfung von Armut bei Kindern, Senioren und Menschen mit Behinderungen aber auch bei der Wohnungsnot und Diskriminierung mehr tun muss, hat gerade auch der Europarat bestätigt. Das Maß an Armut und sozialer Benachteiligung stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum in Deutschland, so der Europarat. Meine Damen und Herren, das ist eine Schande! Und für uns als SSW ein unhaltbarer Zustand. Wenn man den Einzelplan 10 so betrachtet, könnte man fast meinen, dass der Europarat genau diesen als Grundlage für seine Einschätzung genutzt hat. Soziale Gerechtigkeit geht anders. Deshalb lehnen wir den Einzelplan 10 ab.