Speech · 19.05.2010 Pflichtstundenerlass vom 30. März 2010 bestätigen
Die Große Koalition hatte den Lehrerinnen und Lehrern an den Regional- und Gemeinschaftsschulen noch versprochen, dass sie aufgrund der besonderen Belastungen der Schulzusammenführung und des binnendifferenzierten Unterrichts zukünftig eine Stunde weniger unterrichten müssen. Dieses Versprechen hat Bildungsminister Dr. Klug am 30. März mit dem Einkassieren des neuen Pflichtstundenerlasses gebrochen und deutlich gemacht, womit wir es in der Schulpolitik neuerdings zu tun haben: Wir haben einen Bildungsminister, der nicht für die Bildung kämpft, der den Schulen statt Ruhe Chaos bringt und der seine Arbeit von einer koalitionsinternen Arbeitsgruppe bestimmen lässt, die den pseudo-offiziellen Titel „Haushaltsstrukturkommission“ trägt.
Für den SSW sage ich ganz klar: So nicht! Aus unserer Sicht war es ein großer Fehler, den angekündigten Pflichtstundenerlass wieder einzukassieren. Nach den Umwälzungen in der Schullandschaft in den vergangenen Jahren ist es wirklich das falsche Signal, die Lehrerinnen und Lehrer als Belohnung für ihre Mehrarbeit auch noch mit zusätzlichen Stunden zu belasten. Zukünftig sollen nämlich die Lehrerinnen und Lehrer an den Regional- und Gemeinschaftsschulen einheitlich 27 Stunden pro Woche unterrichten, an den Gymnasien und den berufsbildenden Schulen 25,5 Stunden.
Es geht bei dem Einkassieren des Pflichtstundenerlasses aber nicht nur darum, dass Lehrerinnen und Lehrer eine Stunde mehr unterrichten sollen. Es geht vielmehr darum, dass der Bildungsminister die desolate Finanzlage des Landes auf die Lehrer abwälzt, um so sein umstrittenes Y-Abitur-Modell mit 450 Stellen finanzieren zu können.
Was dem ganzen aber die Krone aufsetzt, ist die Tatsache, dass die Aufhebung des Pflichtstundenerlasses ein weiterer Beleg dafür ist, dass das gegliederte Schulsystem durch die Hintertür wieder eingeführt werden soll. Es kann doch nicht sein, dass schon wieder nach den Gemeinschaftsschulen getreten wird. Obwohl die Schwächung dieses Schultyps bei der Landesregierung ja mittlerweile System hat. Der Unterricht an den Gemeinschaftsschulen ist durch heterogene Schulklassen und ein Mehr an individueller Förderung sowieso schon schwierig. Aber anstatt dies zu honorieren, wird jetzt noch eins draufgesetzt. Die gymnasialen Fachkräfte der Gemeinschaftsschulen müssen zukünftig 1,5 Stunden mehr als an den Gymnasien unterrichten und die Differenzierungsstunden wird es ab 2011 auch nicht mehr geben. Was die Landesregierung mit der Rücknahme des Pflichtstundenerlasses zeigt, ist vor allem, dass ihr jeglicher Respekt vor der Arbeit an den Gemeinschaftsschulen fehlt – obwohl gerade diese Schulart durch den Einsatz der Schulleitungen, Lehrer, Eltern und auch Schüler erfolgreich und nachgefragt ist.
Aus Sicht des SSW brauchen wir langfristig ein völlig anderes Modell zur Berechnung der Lehrerarbeitszeit. Die Kopplung der Arbeitszeit an Schulformen, die es zum Teil schon nicht mehr gibt, ist veraltet und führt innerhalb der Lehrerschaft zu großer Unzufriedenheit. Wir brauchen daher ein Modell, das die Arbeitszeit nach Aufwand und Einsatz individuell, transparent und nachvollziehbar darstellt. Die umstrittene Verteilung von Unterrichtsstunden nach Schulformen muss abgeschafft und durch eine funktionale Differenzierung nach unterrichteten Fächern ersetzt werden. Und wir brauchen einen Paradigmenwechsel im Verständnis von Schule. Schule muss nämlich als Bildungsort verstanden werden, an dem 100% der Arbeitszeit einer Lehrkraft wirkungsvoll eingesetzt werden. Somit verändern sich das Organisationsbewusstsein innerhalb der Schule und das Selbstverständnis der Schulleitungen und der Lehrerschaft.
Aus Sicht des SSW wäre eine solche Veränderung in Zeiten von Gemeinschafts- und Ganztagsschule zu begrüßen. Wir müssen aufräumen mit dem Bild vom Lehrer, der ein paar Stunden unterrichtet und die restliche Zeit mit Urlaub und Freizeit verbringt. Der Beruf von Lehrerinnen und Lehrern sieht schon lange anders aus. Jetzt liegt es an uns, die organisatorischen Rahmenbedingungen der veränderten Wirklichkeit anzupassen und die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer endlich zu honorieren.