Speech · Christian Dirschauer · 28.04.2022 Mehr Flexibilität und Durchlässigkeit zwischen Arbeitsmarkt und Werkstätten
"Durch eine Flexibilisierung der bestehenden Regelungen, würde man hier für mehr Teilhabe sorgen. Denn derzeit ist es so, dass Menschen, die ihren Job in der freien Wirtschaft aus welchem Grund auch immer verlieren, nach derzeitiger Rechtslage nicht in die Werkstätten zurückkehren können."
Rede zu Protokoll gegeben
Christian Dirschauer zu TOP 22 - Teilhabe und Inklusion in Schleswig-Holstein vollständig umsetzen
Drs. 19/3813
Die Werkstätten in unserem Land sind kleine Inseln, ohne dabei isoliert zu sein. Auf Dänisch spricht man auch von „beskyttet beskæftigelse“, was übersetzt etwa geschützte Beschäftigung bedeutet. Und diese Beschreibung trifft es in meinen Augen ziemlich gut. Die Werkstatt bietet einen geschützten Ort. Hier können Menschen arbeiten und ihrem Alltag nachgehen,, die es auf dem ersten Arbeitsmarkt schwer haben oder gar nicht erst in diesem System bestehen würden. Werkstätten sind oftmals keine vorrangigen Arbeitsstätten, sondern sie sind Lebensorte. Themen wie gemeinsames Essen, Gesundheit, arbeitsbegleitende Dienste wie Sport und auch grundsätzliche Lebensfragen sind an diesen Orten von besonderer Bedeutung. Hier wird eine echte Begleitung im Leben geboten. Dazu gehört eben auch, den ständigen Austausch mit den Unternehmen auf den ersten Arbeitsmarkt zu pflegen. Die Werkstätten sind es oft, die tatsächlich die Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft vermitteln. Sie kennen die Bedürfnisse von beiden Seiten und wissen, was passen könnte und wovon man vielleicht auch lieber abraten sollte. Die Werkstätten sind durchlässig. Vielen gelingt es, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Viele wollen aber gar nicht dorthin. Das ist aus unserer Sicht auch absolut in Ordnung. Vielmehr sollte es doch darum gehen, die Verbindung zwischen den Werkstätten und dem Arbeitsmarkt zu vertiefen. Durch eine Flexibilisierung der bestehenden Regelungen, würde man hier für mehr Teilhabe sorgen. Denn derzeit ist es so, dass Menschen, die ihren Job in der freien Wirtschaft aus welchem Grund auch immer verlieren, nach derzeitiger Rechtslage nicht in die Werkstätten zurückkehren können. Auf diese Weise sind sie an die Arbeitslosigkeit gebunden und die Erfahrung zeigt leider, dass sie es umso schwerer haben, daran etwas zu ändern. Nicht nur auf Grund dieses Szenarios, bleiben viele lieber in ihrer vertrauten Einrichtung. Wir als SSW können uns daher eine Vereinbarung vorstellen, die es diesen Menschen ermöglicht, auch über mehrere Jahre auf Probe die Werkstatt zu verlassen, mit einer garantierten Rückkehrmöglichkeit in der Hand. Das würde das Interesse an der Teilhabe am Arbeitsmarkt nachhaltig stärken. Auch weitere Maßnahmen könnten wir unterstützen, so wie es im vorliegenden Antrag genannt wird, etwa ein transparentes und zukunftsfähiges Entgeltsystem für die Beschäftigten in den Werkstätten auf den Weg zu bringen. Das würde die Einrichtungen nach innen stärken, aber auch für ein größeres Stück an Gerechtigkeit und Teilhabe Sorge tragen. Wenn man es ernst meint, mit der Steigerung der Attraktivität des regulären Arbeitsmarktes, dann müsste man sich auch einmal mit der Essensvergütung auseinandersetzen. Diejenigen die an einem Außenarbeitsplatz tätig sind, bekommen nämlich keine Essensvergütung. Anders als ihre Kollegen in der Werkstatt müssen sie ihr Mittagessen selbst zahlen oder sind auf Wohlwollen des Arbeitgebers angewiesen. Monatlich kommt in diesem Fall schnell ein Betrag von 80 € oder mehr zusammen. Der Wechsel der Systeme ist also tatsächlich gar nicht so einfach. Wobei ich das Thema Rente noch gar nicht erwähnt habe. Damit wir in Schleswig-Holstein in diesem Bereich eine noch bessere Integration und Teilhabe erreichen können, müssen wir hier für mehr Flexibilität sorgen und den Menschen das Arbeiten nicht nur in den Werkstätten sondern vor allem auf dem Arbeitsmarkt attraktiver machen. Dies wäre ein echter Gewinn für uns als Gesellschaft insgesamt.
Abschließend noch kurz zum Thema Gebärdensprachdolmetschung: Wir als SSW im Landtag machen uns derzeit über ein Gehörlosengeld für unser Land Gedanken, analog zum Landesblindengeld. Die Beratungen dazu sind noch nicht abgeschlossen, aber dies könnte ein möglicher Weg sein, der für gehörlose Menschen mehr Partizipation mit sich bringen könnte. Alles in allem ein durchaus fruchtbarer Antrag, dem wir als SSW zustimmen können.