Speech · Christian Dirschauer · 14.06.2023 Kita-Qualität weiterentwickeln und gute Fachkräfte in ausreichender Zahl ausbilden
„Das, was wir in der frühkindlichen Bildung an Unterstützung, Förderung und Bildung für Familien und Kinder versäumen, wird nicht nur unheimlich teuer, sondern auch unglaublich mühsam, nachzuholen“
Christian Dirschauer zu TOP 8+35 - Gesetz zur Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes und des Haushaltsgesetzes 2023 sowie mündlicher Bericht zur Wirksamkeit der erweiterten Kita-Sozialermäßigung und dem Zeitplan zur weiteren Senkung der Elternbeiträge (Drs. 20/1089 und 20/1090)
Wir haben hier oft betont, wie wichtig das Thema frühkindliche Bildung für den SSW ist. Das folgt allein schon aus unserem skandinavisch geprägten Blick. Denn dort ist es seit langem gesellschaftlicher Konsens, dass man nicht nur ganz erheblich in diesen Bereich investiert, sondern dass auch die hier geleistete Arbeit entsprechend gewürdigt und honoriert wird. Das sehen wir auch so. Und deshalb haben wir nicht nur regelmäßig höheren Ausgaben für die frühkindliche Bildung zugestimmt, sondern auch die umfassende Kita-Reform in ihren Grundzügen mitgetragen. Denn gerade in diesem Bereich der Bildung ist die Qualitätsentwicklung, die ja ein Kernstück der Reform ist, besonders wichtig. Und aus diesem Grundverständnis heraus halten wir selbstverständlich auch den Teil der vorliegenden Gesetzesänderung für zustimmungsfähig, der die Berücksichtigung des TVöD-Abschlusses bei der Finanzierung von Kitas und Kindertagespflege betrifft. Denn eins ist für uns völlig klar: Eine angemessene Bezahlung der in Kita und Kindertagespflege Tätigen sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Wir alle wissen, dass in diesem Bereich der Grundstein für erfolgreiche Bildungsbiografien gelegt wird. Anders gesagt wird das, was wir in der frühkindlichen Bildung an Unterstützung, Förderung und Bildung für Familien und Kinder versäumen, nicht nur unheimlich teuer, sondern auch unglaublich mühsam, nachzuholen. Insofern ist und bleibt es wichtig, dass wir hier möglichst an einem Strang ziehen. Wir müssen nicht nur die Kita-Qualität weiterentwickeln, sondern auch gute Fachkräfte in ausreichender Zahl ausbilden. Außerdem müssen wir besser werden, wenn es darum geht, Eltern mit einem Kind mit Handicap ein passgenaues und eben auch möglichst wohnortnahes Angebot zu machen. Und wenn Sie den SSW fragen, dann müssen wir eben auch für eine substanzielle Entlastung der Eltern sorgen und zumindest mittelfristig sicherstellen, dass der Besuch in Krippe, Kita und Kindertagespflege kostenfrei gestellt wird.
Auch unabhängig von den aktuellen Krisen und ihren Auswirkungen für unsere Einrichtungen gibt es also Aufgaben genug. Doch leider deutet sich schon seit einiger Zeit an, dass die Bemühungen von Landesseite nicht immer mit den wachsenden Herausforderungen Schritt halten. Das zeigt sich nicht nur mit Blick auf die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen oder die Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sondern es zeigt sich eben zum Beispiel auch bei den Themen Inklusion und Elternentlastung. Bei all diesen Dingen ist es wichtig, dass wir um gute Antworten und Lösungen für die bestehenden Probleme ringen. Aber ich kann nicht verhehlen, dass wir zunehmend skeptisch sind, wenn es um die gewählten Lösungswege geht. Das galt nicht nur für das Konzept der helfenden Hände, sondern zum Beispiel auch für die so genannte Strategie zur Fachkräftegewinnung. Und es gilt auch für den Ansatz, Entlastung für die Eltern nahezu ausschließlich über eine verlängerte Sozialstaffel zu organisieren.
Als wohl relativ gut vernetzter Vater zweier Kitakinder und eines Hortkindes kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass viele Einrichtungen am Limit sind. Oder anders gesagt: Viele der Menschen, die hier arbeiten, bewegen sich schon viel zu lange an ihrer Belastungsgrenze und darüber hinaus. Wir müssen endlich erkennen, dass wir vielen, die hier täglich ihren Einsatz bringen, deutlich zu viel zumuten. Diese Entwicklung ist besorgniserregend. Und sie zeigt sich längst an den enorm hohen Krankenständen und einer sehr geringen Verweildauer im Job. Aus Sicht des SSW kann und darf das so nicht weiter gehen. Zum einen, weil wir wissentlich in Kauf nehmen, dass Kitas aufgrund fehlender Ressourcen zu Aufbewahrungsorten verkommen. Und zum anderen, weil wir die strukturelle, und damit eben dauerhafte, Überlastung des Personals zwar sehen aber nicht verhindern. Ich denke, wir alle sind gut beraten, diese Situation endlich so ernst zu nehmen, wie sie wirklich ist. Und ich denke es ist höchste Zeit, dass wir auch von Landesseite für mehr Entlastung sorgen.
Wie angedeutet ist diese Entwicklung nicht neu. Wir haben schon in den letzten beiden Debatten zur frühkindlichen Bildung auf die alarmierenden Aussagen vieler Bildungsforscher hingewiesen. Viele gehen so weit, dass sie vor dem Kollaps des Gesamtsystems warnen. Aus meiner Sicht ist das zumindest Anlass genug, als dass man auch diese Warnungen ernst nehmen muss. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels steht leider zu befürchten, dass wir sehr bald vor einer echten Herausforderung oder sogar Bedrohung für die Kitaqualität stehen. Und dass, obwohl der Anspruch völlig unmissverständlich formuliert ist: Kindertageseinrichtungen haben einen eigenständigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag. Und genau aus diesen Gründen fordern wir schon länger, dass wir noch deutlich mehr Ressourcen für unser Kitasystem aufbringen müssen. Denn die Einrichtungen müssen flächendeckend in die Lage versetzt werden, diesem Auftrag auch gerecht zu werden. Und zwar ausdrücklich nicht auf dem Rücken der Beschäftigten.
Mit Blick auf die vorliegenden Änderungen kann es also kaum verwundern, dass wir hier nicht nur Licht, sondern auch Schatten sehen. Denn zum einen haben Kitabeschäftigte selbstverständlich Anspruch auf eine faire Entlohnung entsprechend der tariflichen Vereinbarungen. Aber zum anderen sind eben auch Zweifel angebracht, wenn es um Wirksamkeit und Reichweite der Kita-Sozialermäßigung geht. Denn auch wenn Familien mit geringen Einkommen hierdurch ein wenig Entlastung spüren, reicht das angesichts der aktuellen Herausforderungen leider nicht aus. Gerade junge Familien, und allen voran jene mit mittleren und kleineren Einkommen, leiden unter den aktuellen Krisen besonders. Neben allen psychischen Problemen hat die Pandemie gerade hier auch zu finanziellen Mehrbelastungen geführt. Noch dazu bringt auch die Energiekrise für Familien mit kleineren Kindern erhebliche finanzielle Härten mit sich. Und in einer solchen Situation macht eine eher geringfügige Entlastung, die sich bekanntlich meist im zweistelligen Bereich bewegt, eben leider nicht den großen Unterschied.
Wie erwähnt, wollen wir uns gerne weiterhin konstruktiv an der Weiterentwicklung der frühkindlichen Bildung beteiligen. Hierfür ist aber eine Grundvoraussetzung wichtig: Wir sollten gemeinsam erkennen, dass hier Anspruch und Wirklichkeit oft noch sehr weit auseinander liegen. Und dass trotz wachsender Ausgaben und einer im Kern richtigen Reform. Es liegt also noch viel Arbeit vor uns. Und diese Arbeit wird auch mit Eintritt in das Zielsystem im Jahr 2025 nicht enden. Doch selbst wenn die Probleme und Herausforderungen noch wachsen und das Geld knapper wird, darf die Antwort eben gerade nicht die Absenkung der Kita-Standards und der Qualität sein. Im Gegenteil: Wir müssen massiv in die Entwicklung von Fachkräften und in ihren Verbleib in den Kitas investieren. Und wenn es nach dem SSW geht, dann muss auch der Zugang zur Kita für die Familien in Schleswig-Holstein so schnell wie möglich kostenfrei gestellt werden.