Rede · Jette Waldinger-Thiering · 23.11.2023 Es geht um die Bildungschancen für junge Menschen

 „Man ist ja nicht zu einer windigen Privatbank gegangen, um einen Konsumkredit aufzunehmen, sondern zu einer bundeseigenen Bank, um eine Ausbildung finanzieren zu können. Hier muss es einen festgelegten, angemessenen Zinssatz von höchstens 5 Prozent geben, der es den Studierenden ermöglicht, ihre Schulden in einer angemessenen Zeit zu begleichen.“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 47 - Deckelung der KfW-Studienkreditzinsen (Drs. 20/1618)

Würden Sie guten Gewissens Ihren Kindern dazu raten, einen Kredit aufzunehmen, bei dem der Zinssatz bei 9 Prozent liegt, ohne zu wissen, ob dieser Zinssatz in Zukunft weiter steigt? Man würde sagen: Kind, vergiss es, das ist ein unkalkulierbares Risiko, lass die Finger davon!
Aber Studierende, die aus den unterschiedlichsten Gründen einen KfW-Studienkredit benötigen, sind in genau dieser Situation. 
Sie sind an einen Kredit gebunden, von dem sie am Anfang nicht wissen, wie hoch die Zinsen am Ende sein werden. Bei einer Fördersumme von bis zu 54.000 Euro kann da ein beträchtlicher Berg an Zinsen zusammenkommen. Erst recht, wenn man sich vorstellt, dass der Berufseinstieg nicht so reibungslos verläuft, wie man sich das wünscht, so dass die Rückzahlung spät und in kleinen Raten erfolgt. Bei einem Zinssatz von aktuell 9 Prozent ist die Schuldenfalle zum Berufseinstieg dann perfekt! 
Eine staatliche Schuldenfalle noch dazu. Ausgezahlt von einer Staatsbank an junge Menschen, die an einer staatlichen Hochschule studieren. 
Da sind wir nicht mehr weit entfernt von amerikanischen Verhältnissen, wo die Menschen noch jahrzehntelang ihre Studienschulden abzahlen müssen. So sieht Bildungsgerechtigkeit nicht aus. Und wir wissen alle, dass es mit der Bildungsgerechtigkeit in Deutschland nicht zum Besten steht. 
Eine OECD-Studie hat vor einigen Jahren festgestellt, dass es im Durchschnitt sechs Generationen braucht, um sich aus einer armen Familie in die Mitte der Gesellschaft hochzuarbeiten. Da liegen wir auf einem ähnlichen Niveau wie Argentinien. 
In Dänemark hingegen dauert das im Schnitt zwei Generationen. Und eine der Ursachen liegt hier klar auf der Hand: Studieren in Deutschland muss man sich leisten können. 
Und das können eben weit überwiegend die Kinder, deren Eltern auch schon Akademiker sind. Zwar ist das BAföG in den letzten Jahren schon reformiert worden und das ist auch gut so, aber dennoch erreicht es aus verschiedenen Gründen eben nicht alle Studierenden oder eben nicht in ausreichender Höhe. Und hier wird einer der Nachteile des BAföG deutlich: es ist eine Finanzierung, die abhängig ist von den Eltern. 
Wenn nun aber die Eltern nicht für das Studium aufkommen möchten, weil sie der Meinung sind, eine Ausbildung reiche auch oder wenn die Eltern sagen: Kind, werde doch Betriebswirt, das Studium finanzieren wir gerne, aber Archäologie, was willst du denn damit? Dann steht man als junger Mensch in Deutschland ganz blöd da. Auch andere Gründe kann es dafür geben, dass das Geld bei den Eltern knapp ist und das BAföG trotzdem nicht ausreichend. 
Und spätestens seit der Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge mit ihren vollen Stundenplänen, ist es eine große Herausforderung, neben dem Studium noch zu arbeiten. Da kommt dann für viele jungen Menschen der KfW-Studienkredit gerade recht. 
Und genau da liegt die Krux: hätten wir ein elternunabhängiges BAföG für alle Studierenden, bräuchten wir solche Kreditangebote gar nicht. 
Nun haben wir sie aber und das ist für viele Studierende erstmal gut, um überhaupt die Chance zu bekommen, ein Studium zu finanzieren. Dass ein solcher Kredit im Nachgang dann zu einer unkalkulierbaren Schuldenfalle werden kann, das ist nicht in Ordnung. Man ist ja nicht zu einer windigen Privatbank gegangen, um einen Konsumkredit aufzunehmen, sondern zu einer bundeseigenen Bank, um eine Ausbildung finanzieren zu können. Hier muss es einen festgelegten, angemessenen Zinssatz von höchstens 5 Prozent geben, der es den Studierenden ermöglicht, ihre Schulden in einer angemessenen Zeit zu begleichen. 
Wir fordern die Landesregierung auf, sich hierfür beim Bund einzusetzen! Außerdem dürfen Haushaltskürzungen in Berlin nicht zu Lasten des BAföG gehen. Wer hier kürzt, kürzt an Bildungschancen für junge Menschen und an der Zukunftsfähigkeit unseres Landes!

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