Rede · Christian Dirschauer · 20.06.2024 Eine Maßnahme von sehr begrenzter Reichweite

„Ich zweifele daran, dass wir die Herausforderungen in diesem Bereich durch die PerspektivKita allein meistern können. Ich denke wir sollten uns ehrlich machen und gemeinsam feststellen, dass wir hier keine Projekte, sondern eine Regelfinanzierung brauchen.“

Christian Dirschauer zu TOP 17 - Sachstand zur Umsetzung der PerspektivKitas (Drs. 20/2209)

Ich will gar keinen Hehl daraus machen, dass mich das Konzept der PerspektivKitas vom Grundsatz her überzeugt. Denn wenn wir Bildungschancen zumindest annähernd angleichen wollen, macht es natürlich Sinn, den sozioökonomischen Status der Herkunftsfamilie zu berücksichtigen. Seit Jahrzehnten belegt eine Studie nach der anderen, dass ein überdeutlicher Zusammenhang zwischen Elternhaus und Bildungs- und Teilhabechancen besteht. Es ist ein Armutszeugnis für unser Land, dass es bis heute kaum gelungen ist, diese Ungerechtigkeit zumindest abzuschwächen. Und deshalb ist es aus Sicht des SSW umso wichtiger, dass wir uns stärker mit dem Problem ungleich verteilter Chancen auseinandersetzen. Und zwar von Beginn der Bildungslaufbahn an.

Wie wir gehört haben, ist es die Idee hinter den so genannten „PerspektivKitas“, bestimmte Einrichtungen so weiterzuentwickeln und auszustatten, dass Familien und Kinder mit besonderen Herausforderungen besser unterstützt werden können. Ausschlaggebende Faktoren können dabei ein geringer Bildungsstand, Migrationserfahrung oder Armut sein. Dies und der Ansatz, sich auf vergleichbare Sozialräume wie jene der PerspektivSchulen und auf den Übergang zwischen Kita und Schule zu konzentrieren, halte ich für logisch und zielführend. Aber ich halte es vor allem auch für überfällig. Denn wir sehen leider weder bei der Verbreitung von Armut noch bei den Schulabbrecherquoten im Land nennenswerte Verbesserungen. Und eine gute und vor allem nach unterschiedlichen Startchancen der Kinder differenzierte frühkindliche Bildung ist hier ein effektives Gegenmittel, das wir unbedingt ausbauen müssen. 
Die 250.000 Euro, die die Koalition für PerspektivKitas in den Haushalt eingestellt hat, sind natürlich löblich. Von diesen Mitteln muss in den betreffenden Einrichtungen dann aber jeweils nicht nur ein halbe Fachkraftstelle, sondern auch ein erheblicher Kooperations- und damit Verwaltungsaufwand finanziert werden. Noch dazu stellen sich Träger und Einrichtungen eine ganze Reihe Fragen zu den Details der Ausgestaltung. Und viele vermuten, dass mit der Anerkennung und Arbeit als PerspektivKita weitere Kosten verbunden sind. Nüchtern betrachtet zeigt sich also, dass wir es - Stand jetzt - mit einer sehr begrenzten Reichweite dieser Maßnahme zu tun haben. Und aus meiner Sicht lässt sich bei dieser Größenordnung, bei der landesweit vermutlich höchstens 10 Einrichtungen profitieren können, kaum von einem wirklichen Modell mit Aussagekraft sprechen.

Wenn ich recht informiert bin, dann soll das finale Konzept zur PerspektivKita schon zum September stehen. Doch wer sich hierzu mit Trägern austauscht, wird feststellen, dass es erhebliche Unsicherheiten und einen Haufen unbeantworteter Fragen gibt. Das fängt damit an, wann dieses Modell denn eigentlich starten und enden soll? Wie die Kooperation mit den Schulen aussehen und verbindlich gestaltet werden kann? Oder ob diese Arbeit in speziellen Räumen oder in der Gruppe stattfindet? Ist eine wissenschaftliche Begleitung geplant und wenn ja durch wen und welche Ressourcen stehen hierfür zur Verfügung? Außerdem fragen sich viele Betroffene, ob die vorgesehene halbe Stelle unabhängig von der Größe der Einrichtung vergeben wird, welche Qualifikation diese Fachkraft mitbringen muss und wie sie überhaupt ins Team integriert werden soll? Ich denke so gut der Ansatz auch ist: Die Landesregierung sollte dringend konkret werden.

Ich will hier gewiss nichts zerreden. Aber auch die Regierenden werden zugeben müssen, dass es kaum ein Verantwortlicher im Kitasystem überhaupt für möglich hält, im laufenden Gesetzgebungsverfahren mit seinen Unsicherheiten weitere Programme zu implementieren. Noch dazu fehlen eindeutig Ressourcen für diese wichtige Aufgabe. Und nicht nur wir fragen uns, welche Hauptziele die Landesregierung überhaupt in Bezug auf die Verbesserung von Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern hat? Sicher: Zusätzliche Fachkräfte für Kitas in benachteiligten Stadtteilen sind dringend nötig. Darüber herrscht hier hoffentlich weitestgehend Konsens. Doch auch wenn es schnell Antworten auf die vielen Fragen gibt, zweifele ich daran, dass wir die Herausforderungen in diesem Bereich durch die PerspektivKita allein meistern können. Ich denke wir sollten uns ehrlich machen und gemeinsam feststellen, dass wir hier keine Projekte, sondern eine Regelfinanzierung brauchen.
 

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