Speech · Jette Waldinger-Thiering · 12.12.2024 Ein Täter muss als Täter wahrgenommen werden

„Die Verharmlosung von Gewalt und die Schuldzuweisung an die Opfer ist unerträglich.“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 27 - Geschlechtsspezifischer Gewalt konsequent entgegentreten (Drs. 20/2741)

Das kürzlich veröffentlichte Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ zeichnet ein alarmierendes Bild. Offenbar wird es in unserer Gesellschaft zunehmen normal, Gewalt gegen Frauen auszuüben. In Deutschland, mitten in Europa, im Jahr 2024. Das können wir so nicht stehen lassen! Es muss gesellschaftlich endlich anerkannt werden, dass Gewalt gegen Frauen, und zwar jede Art von Gewalt, kein Kavaliersdelikt ist. Hiergegen vorzugehen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Denn die Gewalt findet sich in allen Schichten der Gesellschaft. 
Umso wichtiger ist es, dass in Berlin nun endlich das geplante Gewaltschutzgesetz auf den Weg gebracht wird, statt in den Mühlen des Wahlkampfes zerrieben zu werden. Ohne dieses Gesetz verkommt die Ratifizierung der Istanbul-Konvention vor mittlerweile 7 Jahren zur bloßen Schaufensterpolitik. 
Man kann von allen demokratischen Parteien erwarten, dass sie sich darauf einigen können, den Schutz für Frauen, die von Gewalt betroffen sind, zu verbessern. Das ist keine Frage des Parteibuches, sondern des Anstandes! 
Vor allem auf der kommunalen Ebene sehen wir, dass der Gewaltschutz schlicht auch an einem Mangel an Schutzeinrichtungen krankt. Immer wieder müssen die Frauenhäuser hilfesuchende Frauen abweisen, weil sie keine freien Plätze haben. Und das liegt gar nicht immer nur am Geld. In Flensburg etwa sucht das Frauenhaus seit Jahren nach einem neuen und größeren Gebäude und findet keines. Die Frauen leben dort beengt in Zweierzimmern, der Standort ist ein offenes Geheimnis, weil man schon so lange dort beheimatet ist, aber eine neue Immobilie ist weit und breit nicht in Sicht. Dabei gäbe es sogar Fördergelder. Aber welcher Eigentümer will schon ein Frauenhaus beherbergen? 
Ich frage mich aber auch: wie soll das weitergehen? Die Zahl der gewaltbetroffenen Frauen steigt und steigt, auch die Zahl der Femizide nimmt in einem erschreckenden Ausmaß zu. Wie viele Frauenhausplätze können wir schaffen? Wie viele Frauen sollen sich verstecken müssen aus Angst vor einem Mann? 
Und eben das darf nicht sein: dass die Frauen sich einschränken und verstecken müssen. Die Verantwortung muss durch geeignete Maßnahmen wie die elektronische Fußfessel an die Täter zurückdelegiert werden. Der Täter muss sich einschränken, nicht das Opfer. Hierfür brauchen wir aber auch eine andere gesellschaftliche Debatte über das Thema.

Zu oft heißt es leichtfertig: die Frau kann doch einfach gehen. Oder: selbst schuld, wenn sie so kurze Röcke anzieht. Da sage ich ganz klar, ein solcher Ton in der Debatte ist unhaltbar. 
Ein Täter muss als Täter wahrgenommen werden. Und das muss auch so adressiert werden. Die Verharmlosung von Gewalt und die Schuldzuweisung an die Opfer ist unerträglich. 
Um dieses gesellschaftliche Klima zu ändern, brauchen wir ausreichend Präventionsangebote. Hier müssen wir frühzeitig ansetzen, damit schon kleine Jungs verinnerlichen, dass es nicht ok ist, Probleme mit Gewalt zu lösen. Es ist genau das falsche Signal, dass die Regierungsfraktionen im kommenden Haushalt die Mittel für Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Kinder streichen wollen. Und nein, diese werden nicht in Gänze durch andere Förderprogramme aufgefangen, wie die Sozialministerin kürzlich sagte. Es entstehen Lücken. Aber nur, wenn diese Kinder angemessen unterstützt werden, kann ihnen aus der Gewaltspirale rausgeholfen werden. Auch das Hochrisikomanagement will ich hier nochmal explizit ansprechen: das ist sinnvoll und richtig, dass wir dieses Werkzeug haben. Aber wenn es nicht gelebt werden kann, weil die Beratungsstellen schlicht nicht ausreichend Personal haben, um an Fallkonferenzen teilzunehmen, verkommt es zum Feigenblatt. 
Die Landesregierung muss sich geschlossen hinter gewaltbetroffene Frauen und Kinder stellen, indem sie deutlich macht, dass hier kein Cent gespart werden darf. Dass wir sparen müssen, wissen wir alle. Aber nicht auf dem Rücken dieser Menschen!

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