Speech · Sybilla Nitsch · 26.01.2023 Die digitale Infrastruktur der öffentlichen Hand läuft nicht!

„Vorzeigeregion in Sachen Digitalisierung werden wir nur, wenn alle dran teilhaben können. Bürgerfreundliche und barrierearme Technik ist nicht in Sicht. Stattdessen wird weiter an Systemdetails herumgedoktert, um von diesem Versagen abzulenken.“

Sybilla Nitsch zu TOP 19 +32 - Einführung eines Digitalchecks (Drs. 20/574 u. 591)

Beide Anträge der regierungstragenden Fraktionen zur Digitalisierung möchten den Eindruck vermitteln, als ob in Schleswig-Holstein nur noch kleine Feinarbeiten in Sachen Digitalisierung nötig wären. Der Landtag soll beschließen, dass das Land schon aktuell eine führende Position beim Thema Green-IT inne hat. Entspricht das den Erfahrungen der Bürger:innen im Austausch mit den Verwaltungen hierzulande? Sehen wir schon das Ziel in erreichbarer Ferne, nämlich, dass Anträge und Termine problemlos im Netz erledigt werden können?
Nein.
Jeden Tag sind die Bürger:innen frustriert über komplizierte Verfahren oder über zusammenbrechende Seiten – wie bei den Anträgen zu den sogenannten Balkon-Solaranlagen. Einige Angelegenheiten können gar nicht digital erledigt werden, sodass man in Telefonwarteschleifen versauert. Dieser Missstand frustriert übrigens auch die Beschäftigten in den Behörden, die selber mit IT-Lösungen hantieren müssen, die veraltet oder unsicher sind. Auch 5 Jahre nach Einführung des Onlinezugangsgesetzes suchen wir vergeblich nach den großen Erfolgen. Die Liste der Hemmnisse ist lang. 
Die digitale Infrastruktur der öffentlichen Hand läuft nicht! Dieser Befund soll wohl vergessen gemacht werden.
Millionen hat das Land in IT versenkt, wie in das KOPERS-System.
Ich möchte an einem Beispiel aus dem Bildungsausschuss zeigen, wie groß die Probleme tatsächlich sind. Es drehte sich um die Frage, wie die Energiepauschale den Studierenden zugänglich gemacht werden könne. Die Bildungsministerin schlug vor, ein privates Unternehmen zu beauftragen, den Studierenden einen Token zu geben, mit dem sie ihren Anspruch auf 200 Euro geltend machen könnten. Dieses Verfahren ist kompliziert, aufwändig und technisch veraltet; so als ob wir noch in den 90er Jahren wären.
Warum werden nicht die Daten genutzt, die bereits vorliegen, beispielsweise für das Semesterticket?
Warum werden teure Doppelstrukturen aufgebaut?
Aber die eigentliche Frage ist: Wie lange noch wird sich jedes einzelne Ministerium digital handgestrickte Lösungen ausdenken?
Das Problem liegt eindeutig nicht bei technischen Hemmnissen oder dem viel gescholtenen Datenschutz, sondern im Fehlen digitaler Kompetenz. Für mich stellt sich die Frage, ob die Weiterbildung in der Landesregierung Schritt gehalten hat mit dem digitalen Fortschritt.
Natürlich ist es richtig, dass wir Sorge tragen müssen, dass wir die Systeme nicht mit immer neuen Verfahren überlasten, und dass Hemmnisse laufend analysiert werden. 
Da stimme ich den Antragstellern durchaus zu.
Aber damit wird der zweite vor dem ersten Schritt gemacht. 
Solange z.B. nicht alle Lehrkräfte einen digitalen Zugang haben und das Onlinezugangsgesetz keine realistischen Umsetzungstermin hat, müssen wir das Netz weiter ausbauen.
Die Infrastruktur muss stehen. Zuverlässig und flächendeckend. Und das tut sie bislang nicht, wie zahlreiche Funklöcher im Land beweisen.
Der Netzausbau muss dabei ökologischen Kriterien genügen. Ich hoffe, dass darüber im Landtag Konsens herrscht. Dabei möchte ich auch klarstellen: Immer mehr energiefressende Serverfarmen in anderen Ländern bzw. in Übersee zu bauen, die uns das Problem abnehmen, sind keine Lösung.
Die Serverkapazitäten müssen wir hierzulande ausbauen.
Hier, wo die Energieerzeugung durch den hohen Anteil regenerativer Energie vorhanden ist.
Angesichts des Klimawandels müssen wir den CO2 -Ausstoß deutlich reduzieren. Genau das könnte mit heimischen Serverfarmen gut gelingen.
Der große Vorteil von Servern, die in Schleswig-Holstein aufgebaut werden würden, ist zudem, dass die Abwärme direkt wieder als Energie genutzt werden könnte.  Das wäre wahre grüne IT-Technologie. 

Der digitale Ausbau muss zuerst kommen. Die Bürger:innen erwarten einfache und verständliche Verfahren, die flächendeckend eingesetzt werden können, untereinander kompatibel sind und robust gegenüber kriminellen Manipulationen sind.  Vorzeigeregion in Sachen Digitalisierung werden wir nur, wenn nämlich alle dran teilhaben können. Bürgerfreundliche und barrierearme Technik ist nicht in Sicht. 
Stattdessen wird weiter an Systemdetails herumgedoktert, um von diesem Versagen abzulenken.

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