Speech · Christian Dirschauer · 27.03.2025 Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen werden auch heute noch gebraucht
„Minderheit sein ist das Bekenntnis zu einer Sprache und einer Kultur, ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer eigenen Gemeinschaft. Diese darf nicht in Frage gestellt und es darf nicht zur Assimilation aufgefordert werden. Dass das heute weitgehend politischer Konsens ist, erfüllt uns mit großer Dankbarkeit.“
Christian Dirschauer zu TOP 18 - 70 Jahre friedliches Miteinander – Resolution zu 70 Jahre Bonn-Kopenhagener Erklärungen (Drs. 20/3038)
Der ein oder andere im Saal kennt sicherlich das Märchen „Der fliegende Koffer“ von Hans Christian Andersen. Der Koffer ist es, der das Phantastische, Magische, Undenkbare in die Welt der Menschen bringt. Als der dänische Ministerpräsident H.C. Hansen im Jahr 1955 nach Bonn reiste, berichtete er im Nachgang, dass er an das Märchen vom fliegenden Koffer dachte, so undenkbar und fantastisch erschien ihm seine Reise in die deutsche Hauptstadt, um eine Vereinbarung über die Rechte der deutschen und dänischen Minderheit zu treffen. Heute erscheint uns das übertrieben, kann sich doch kaum jemand an die Spannungen erinnern, die es in Deutschland und Dänemark zwischen Minderheiten und Mehrheiten gab. Speckdänen hießen sie in Deutschland noch lange, die Angehörigen der Minderheit.
Ältere Menschen können noch von mit Schmähungen beschmierten Häusern berichten und davon, wie ihnen allerlei Schimpfwörter an den Kopf geworfen wurden auf dem Weg zur dänischen Schule. Das erscheint uns heute wie aus einer anderen Welt. Dank denjenigen deutschen und dänischen Politikern, denen es im Jahr 1955 gelang, eine Lösung für die deutsch-dänische Frage zu finden. Das war damals kein Selbstläufer. Schon 1954 hatte es Verhandlungen gegeben, diese waren gescheitert. Vor allem die dänische Seite lehnte weitere Verhandlungen ab. Dass es dann doch zu einer Wiederaufnahme der Gespräche kam, verdanken wir vor allem einem Flensburger Politiker: dem CDU-Bundestagsabgeordneten Will Rasner, der nach Kopenhagen reiste, um dort den Vorschlag zu unterbreiten, dass man einseitige Erklärungen statt eines bilateralen Vertrages erwägen könnte. Das war der Durchbruch, man kehrte zurück an den Verhandlungstisch.
Heute wissen wir: die von beiden Staaten abgegebenen Erklärungen haben sich als haltbare Lösung erwiesen. Noch heute basieren die Rechte der Minderheiten auf den damals geschlossenen Bonn-Kopenhagener Erklärungen.
Gleichlautenden nationalen Erklärungen, die vom deutschen Bundeskanzler und dem dänischen Staatsminister unterzeichnet wurden.
Die Erklärungen gestehen den Angehörigen der Minderheiten dieselben grundgesetzlich geregelten staatsbürgerliche Rechte zu, wie allen anderen Bürgern. Sie schreiben die Bekenntnisfreiheit fest, eine wichtige Grundsäule der Minderheitenpolitik, die besagt, dass diejenigen zur Minderheit gehören, die sich zugehörig fühlen und dass dieses Bekenntnis nicht von staatlicher Seite überprüft werden darf. Auch die politische Partizipation, abgesichert durch die Befreiung des SSW von der 5-Prozent Hürde, wurde in der Bonner Erklärung festgeschrieben. Seither haben sich die Beziehungen von Mehrheit und Minderheit von einem Gegeneinander über ein Miteinander zu einem Füreinander entwickelt. Und doch haben die Erklärungen auch heute nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt.
Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass es die Bonn-Kopenhagener Erklärungen auch heute noch braucht, um die Rechte der Minderheiten in politisch oder wirtschaftlich angespannten Zeiten zu wahren. Im Jahr 2010 wurde die Finanzierung der dänischen Schulen reduziert, weil diese ja Privatschulen seien und folglich auch wie diese finanziert werden müssten.
Dass es sich dabei um die öffentlichen Schulen der dänischen Minderheit handelt, wurde negiert. 2012 wurde die Befreiung des SSW von der 5-Prozent-Hürde beklagt, unter anderem mit dem Argument, dass es zweifelhaft sei, ob überhaupt eine dänische Minderheit in Schleswig-Holstein existiere, weil Angehörige der dänischen Minderheit nicht erkennbar seien und eine Assimilation stattgefunden habe. Dass die Beschwerdeführer der gleichen Partei angehörten wie der Mann, der im Jahr 1955 nach Dänemark reiste, um den gordischen Knoten in den Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen durchzuschlagen, ist vielleicht eine Art Treppenwitz der Geschichte.
Das Landesverfassungsgericht bestätigte die im Rahmen der Bonn-Kopenhagener Erklärungen getroffenen Regelungen und bejahte ganz klar die Existenz der Minderheit. Diese Episode zeigt, wie hauchdünn die Akzeptanz der Minderheit sein kann. Gerade in unserer Zeit, wo erfreulicherweise die grenzüberschreitende Zusammenarbeit immer stärker in den Fokus rückt und auch mehr Menschen die dänische Sprache lernen. Aber Minderheit sein ist eben nicht das gleiche. Minderheit sein ist das Bekenntnis zu einer Sprache und einer Kultur, ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer eigenen Gemeinschaft.
Diese darf nicht in Frage gestellt und es darf nicht zur Assimilation aufgefordert werden. Dass das heute weitgehend politischer Konsens ist, erfüllt uns mit großer Dankbarkeit. Und darum ist es richtig und wichtig, dass dieses Jubiläum öffentlich sichtbar begangen wird. Nicht nur, um das Erreichte zu feiern, sondern auch, um daran zu erinnern, dass Minderheitenschutz, kulturelle Vielfalt und Völkerverständigung eine Voraussetzung für ein friedliches Miteinander sind und bleiben. Minderheitenpolitik ist Friedenspolitik. Das ist die Botschaft, die Deutschland, Dänemark und die Minderheiten aussenden sollten. Sie ist so aktuell wie selten zuvor.