Speech · Lars Harms · 15.12.2021 Landeshaushalt Der SSW kämpft für die Minderheiten und ein solidarisches SH
„In Skandinavien ist es gute Tradition, dass sich alle an einen Tisch setzen und einen Großkompromiss finden, in dem sich alle zumindest ein bisschen wiederfinden. Der SSW hat sich stets konstruktiv in die Beratungen eingebracht und entsprechend können wir nun auch eigene Antragserfolge vermelden: Das Friesische Theater, Lichtblick e.V. Flensburg, das PETZE-Institut und Foreningen Norden bekommen nun dank des SSW Fördergelder.“
Lars Harms zu TOP 2+24+36+45 - Haushaltsberatungen 2022 (Drs. 19/3200; 19/3201; 19/3459; 19/3359; 19/34869
Auch diesmal waren die Haushaltsverhandlungen wieder ein Kraftakt. Den laufenden Haushalt 2021 hatten wir ja erst im Februar final beschlossen; den Haushalt 2022 werden wir wohl hier und heute dem regulären Zeitplan gemäß verabschieden. Dahinter standen jedoch abermals intensive und komplexe Ausschussberatungen, kurzfristige Anträge, seitenstarke Berichte und fortlaufende Aktualisierungen, die allesamt innerhalb kürzester Zeit erstellt, verumdruckt, geprüft und beschlossen werden mussten.
An dieser Stelle möchte ich daher nochmals meinen Dank voranstellen – an alle Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, an die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierung und der Ministerien und natürlich auch an die Landtagsverwaltung und wieder einmal das Finanzausschussbüro im Besonderen. Vielen Dank für diesen Kraftakt über die letzten Wochen, zumal in einer abermals schwierigen Phase der Pandemie!
Zunächst möchte ich ein paar Bemerkungen zur allgemeinen Haushaltslage machen. Ich hatte es bereits bei der 1. Lesung des Entwurfes gesagt: Ja, es wird der zweite Haushalt unter Corona-Bedingungen und wir hätten uns mittelfristig auf die entsprechenden finanziellen Auswirkungen – sprich konkrete Einschnitte – einstellen müssen. Eine Pandemie macht sich zwangsläufig in der Haushaltslage bemerkbar. Entsprechend hatten wir – Jamaika, SPD und SSW – ja mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit die Corona-Notkreditermächtigung auf den Weg gebracht; eine, wie ich finde, nach wie vor konstruktiv erarbeitete und gut begründete Maßnahme.
Aber auch wenn all diese Summen, die wir nun für die verschiedenen Programme mobilisiert haben, gewaltig sind, so muss man doch auch mal festhalten, dass Schleswig-Holstein in finanzieller Hinsicht bislang recht gut durch die Corona-Krise gekommen ist. Nachdem bereits die Steuerschätzung aus dem Mai mit besseren Zahlen als erwartet überraschte, konnte die aktuelle Novemberschätzung daran anknüpfen und nochmals bessere Zahlen und eine schnellere wirtschaftliche Erholung für unser Land prognostizieren. Eine Nachricht, die uns vorsichtig optimistisch stimmen mag.
Denn ich – mit meiner inzwischen über 20 Jahre langen Erfahrung hier in diesem Hohen Hause – kann mich noch durchaus an die ganz mageren Jahre erinnern, beispielsweise die 2000er, als wir den Landeshaushalt oft mit über 1 Milliarde Euro im Minus aufstellen und bestreiten mussten. In 2005 lag das reale Defizit bei fast 1,5 Milliarden Euro. Ganz ohne Pandemie und noch vor Einführung der Schuldenbremse 2009, dem HSH-Nordbank-Desaster und der Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Und unter der Küstenkoalition hatten wir dann ab 2015 mit der Flüchtlingskrise ja auch plötzlich sehr hohe Summen aus dem Nichts zu stemmen. Jamaika hat nun mit Corona zwar auch einen großen Brocken auferlegt bekommen, aber gleichzeitig ist Schleswig-Holsteins Wirtschaftskraft offenbar dennoch so robust, dass – bei Aussparung der Notkreditermächtigung – tatsächlich ein Kernhaushalt machbar ist, der sich innerhalb der Regeln der Schuldenbremse bewegt. Mal ganz zu schweigen von den zwischenzeitlich wirklich guten Jahren seit dem Regierungswechsel in 2017 bis eben zum Beginn der Pandemie ab Frühjahr 2020. So ungünstig war und ist die Ausgangslage der Jamaika-Koalition daher insgesamt nicht. Soll heißen: Es wäre noch mehr drin gewesen.
Wir haben es immer betont: Der SSW steht für skandinavisch geprägte, pragmatische Sachpolitik – auch und gerade beim Thema Haushaltberatungen. Wir loben Lichtblicke, benennen aber auch Schattenseiten. Ich komme daher jetzt zunächst einmal auf drei große Kritikpunkte zu sprechen, die wir in den Haushaltsberatungen wiederholt angesprochen haben und wo wir uns noch ein Entgegenkommen der Regierungskoalition gewünscht hätten.
- Zum ersten Punkt: Ich bin so erzogen worden, dass man Versprechen, die man gibt, auch einhält. Viele werden jetzt sicherlich schon wissen, worauf ich mit dieser Aussage abziele – schließlich findet sich dieser Punkt Jahr für Jahr in unseren Haushaltanträgen wieder: Es geht natürlich um das Weihnachtsgeld für unsere Landesbeamtinnen und -beamten bzw. um eine Kompromisslösung in Sachen „Sonderzahlung“. Unter diesem Schlagwort wird seit Jahren ein Versprechen durchgeschleppt, das die Jamaika-Koalition einfach nicht einlösen möchte. Seit 2019 lag ein honoriges Angebot des Beamtenbundes zu diesem Thema auf dem Tisch. Die Beschäftigten wären sogar bereit gewesen, auf 2/3 ihrer Ansprüche zu verzichten und lediglich eine Sonderzahlung in Höhe von 1.000 Euro zu akzeptieren. Bis heute weigert sich die Landesregierung jedoch, sich hier zu bewegen – und das trotz des Versprechens seitens der Politik, das Weihnachtsgeld wieder einzuführen, sobald es dem Land wirtschaftlich wieder besser geht. Wohlgemerkt: Wir sprechen hier von den Haushaltsjahren mit Milliardenunterdeckung, die ich eingangs erwähnte. Die Corona-Pandemie darf hier nun nicht als Ausrede herhalten. Denn davor hatten wir über Jahre immer wieder Haushalte mit Rekordeinnahmen. Der SSW macht sich deshalb auch weiterhin für eine Sonderzahlung stark: Dieser Haushaltsantrag findet sich wieder in unserer Liste und diesmal haben wir eine namentliche Abstimmung dazu beantragt. Nun mag sich hier bitte jeder und jede ehrlich machen und zeigen, ob Versprechen, die abgegeben wurden, dann auch wirklich zählen.
- Ehrlichkeit ist auch ein gutes Stichwort für unseren großen Kritikpunkt Nr. 2: Wir waren immer geradeheraus ehrlich in unserer Ablehnung gegenüber der Abschiebehaftanstalt in Glückstadt. Und unsere Haltung hat sich auch nicht geändert. Die Einrichtung ist ja nun fertig gebaut und in Betrieb genommen worden, aber der SSW wird nicht müde werden, ab jetzt konsequenterweise ihre Abschaffung zu fordern. Und hierbei geht es ja nicht nur um die politische Haltung, die man dazu haben mag – die Abschiebehaftanstalt rechnet sich auch unter nüchtern-ökonomischen Überlegungen überhaupt nicht. Für Schwerstkriminelle gibt es Plätze in Neumünster, dazu kommen noch die Platzkontingente im Abschiebegewahrsam am Flughafen Fuhlsbüttel. Die Abschiebehaft wird nun ohne Not mit Personen gefüllt, die dort unter Rechtsstaats- wie auch Menschenrechtsprinzipien einfach nicht hingehören. Und aus finanzpolitischer Sicht könnte man mit der Abschaffung auf einen Schlag mehrere Millionen Euro Steuergelder einsparen und anderweitig deutlich sinnvoller investieren. Man hätte mit diesem Geld zum Beispiel ein Anrecht auf psychotherapeutische Leistungen für traumatisierte Flüchtlinge etablieren können. Man hätte mit dem Geld ein Recht auf Berufsschulunterricht für Flüchtlinge bis einschließlich 25 Jahre schaffen können. Man hätte mit dem Geld Integrationsbeauftragte auf kommunaler Ebene einführen können. Man hätte mit dem Geld das Recht auf kostenfreien Zugang zu Sprachkursen einführen können. Das fehlt alles noch und das alles ist sinnvoller als eine Abschiebehaftanstalt. Insgesamt zählen die für die Abschiebehaftanstalt veranschlagten Gelder sowohl in EP 04 als auch in EP 12 deshalb zu den Hauptgründen dafür, dass wir diesen beiden Einzelplänen nicht zustimmen können.
- Zuletzt kann auch unser Kritikpunkt Nr. 3 unter dem Stichwort Ehrlichkeit angebracht werden: Es geht um eine eSports-Akademie. Was dieses Thema angeht, so handelt es sich ja um eine Idee, die ursprünglich mal in den Reihen der CDU geboren wurde. Und nun ist es der SSW, der diese CDU-Idee weiterträgt und nun an das Gewissen der Konservativen appelliert. Denn auch hier geht es um ein lange geplantes und eigentlich fest zugesagtes Vorhaben, nämlich die eSports-Akademie an der FH Westküste in Heide. Auch hier kann ich auf meine jahrzehntelange Erfahrung zurückblicken und stelle fest, dass selbst ich es noch nicht erlebt habe, dass eine Regierungskoalition tatsächlich gegen ihren eigenen Antrag im Ausschuss stimmt und diesen mit einem Änderungsantrag nachträglich noch derart abschwächt, dass nichts weiter übrigbleibt als ein „toll, dass wir ein bisschen etwas erreicht haben“. Doch genau das ist in der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses am 1.12. geschehen. Für die eSport-Förderung in unserem Land, für unser Ziel, hier bundesweit führend zu werden und drumherum ein vielversprechendes Ausbildungs- und Wirtschaftsnetzwerk aufzubauen, und vor allem für die Gamerszene in Schleswig-Holstein sowie für die Projektverantwortlichen an der FH Westküste war das einfach ein ganz bitteres Signal von Seiten der Jamaika-Koalition. Wenn diese den eSport doch nicht so fördern möchte, wie sie es ja aber ständig vollmundig ankündigt, dann sollten die Koalitionäre das eben auch einfach mal so ehrlich sagen und den Projektleuten nicht immer wieder Hoffnungen machen, um diese dann im letzten Moment doch noch zu zerschlagen. Der SSW wird dieses Thema jedenfalls weiter auf der Agenda behalten. Darauf können Sie sich verlassen.
Neben diesen Schattenseiten habe ich ja aber vorhin auch Lichtblicke angekündigt – und diese lassen sich in diesem Haushalt durchaus auch finden, nämlich mit den erfolgreich vom SSW eingebrachten Haushaltsanträgen. In den Einzelplandebatten werden wir noch näher auf diese eingehen, aber erwähnen möchte ich sie an dieser Stelle dennoch:
- Wir haben zwei Änderungen beim Haushaltsbegleitgesetz durchgesetzt: Zum einen darf in den Landesbehörden nun die Eigenbewirtung wie auch die Bewirtung von Gästen in einem angemessenen Rahmen aus Landesmitteln finanziert werden; dies war bislang tatsächlich nicht möglich. Zum anderen wird bei den Regelungen zu Schlafräumen und Schlafraumkonzepten in Kindertageseinrichtungen nun auch die traditionelle skandinavische Verfahrensweise – sprich der Mittagsschlaf im Kinderwagen im Freien – ermöglicht. Dies war eine sehr wichtige Ergänzung für die Einrichtungen von Trägern der dänischen Minderheit.
- Darüber hinaus haben wir institutionelle Förderungen für vier Projekte durchgesetzt, die uns sehr am Herzen liegen:
1. Ein fester jährlicher Zuschuss in Höhe von 40.000 Euro für das Friesische Theater. Der Verein „Et Nordfriisk Teooter” macht Theaterarbeit in friesischer Sprache und es wird bewusst Wert daraufgelegt, eben kein Laientheater, sondern moderne Stücke mit professionellen Schauspielern und Equipment anzubieten. Und da die Mitarbeiter dort ganzjährig beschäftigt sind, ist eine institutionelle Förderung notwendig. Hier gelingt uns eine Gleichstellung mit dänischen und niederdeutschen Angeboten.
2. Ein fester jährlicher Zuschuss in Höhe von 20.000 Euro für Foreningen Norden. Das Nordisk Informationskontor musste ja leider seine Tore schließen, aber die dort geleistete Arbeit zur Vermittlung der Kultur und Gesellschaft der nordischen Länder wird nun von Foreningen Norden weitergeführt und ausgebaut.
3. Ein fester jährlicher Zuschuss in Höhe von 98.000 Euro für das PETZE-Institut. Das renommierte und landesweit bekannte PETZE-Institut hat neue Gewaltschutzkonzepte im Bereich der Eingliederungshilfe entwickelt und wir freuen uns sehr, dass diese mit breiter Unterstützung aus diesem Hause künftig umgesetzt werden und man so Menschen mit Behinderung ganz konkret helfen kann. Bei den Beratungen zum EP 10 werden wir dieses Projekt noch näher erläutern.
4. Ein fester jährlicher Zuschuss in Höhe von 110.000 Euro für den Verein Lichtblick in Flensburg, wodurch sich dieser verstärkt um die Suizidprävention vor allem bei Kindern und Jugendlichen kümmern kann. Leider ist der Bedarf hier – auch infolge der Corona-Pandemie – gestiegen, daher ist das Geld hier wirklich gut investiert. Auch auf diese Förderung werden wir bei der Einzelplanberatung noch entsprechend näher eingehen.
Insgesamt hat der SSW also Haushaltsanträge im Gesamtvolumen von jährlich 258.000 Euro für vier wirklich großartige und für die Gesellschaft wertvolle Initiativen eingebracht und durchgesetzt. Und hier auch ein Dank an die Jamaika-Koalitionäre für die positiven Gespräche und die gemeinsame Entscheidung für diese Projekte.
Mit weit größeren Volumina operieren wir im Übrigen in unserer vollständigen Antragstabelle: Wir erhöhen anhand Vergleichsbetrachtungen der vergangenen Jahre die Einnahmeerwartungen um ca. 15,5 Millionen Euro und sparen Ausgaben in Höhe von sogar ca. 78,5 Millionen Euro ein. Unsere Mehrausgaben in Höhe von ca. 29,5 Millionen Euro sind da locker gegenfinanziert. Fast nebenbei würden wir mit unseren Änderungsvorschlägen nochmals ca. 64,5 Millionen Euro sparen bzw. weniger verausgaben als die Landesregierung. Wir wollen Ihnen allen daher nochmals gern unsere Haushaltsänderungstabelle in Gänze ans Herz legen.
Aber auch, wenn diese keine Mehrheit finden sollte, so ist es ja doch insgesamt einfach gute skandinavische Tradition, dass man sich – Regierung und Opposition – pragmatisch gemeinsam an einen Tisch setzt und schaut, wie man als Politik das insgesamt Beste für das Land und seine Bürgerinnen und Bürger herausholen kann. In diese Runden, wie man sie in Skandinavien kennt, kann jede Partei ihre Wünsche und Ideen offen einbringen, die besten werden aufgenommen und am Ende steht ein Großkompromiss, in dem sich alle zumindest mit Einzelprojekten wiederfinden können. Damit stehen dann die großen Leitlinien, auf die sich alle verständigen können und wodurch eine Haushaltsverabschiedung mit breiter Mehrheit möglich wird und diese dann auf einem breiteren gesellschaftlichen Fundament steht. In dieser skandinavischen Tradition steht ja auch der SSW, daher haben wir auch stets konstruktiv mit der Landesregierung zusammengearbeitet, haben zugehört und wurden angehört und waren nun nicht zuletzt auch in dieser schwierigen, turbulenten Zeit der Corona-Pandemie stets bestrebt, proaktiv daran mitzuwirken, dass die Menschen in Schleswig-Holstein ein handlungsfähiges Land erleben, das für sie da ist. Insgesamt können wir daher mit dem Gesamthaushaltsentwurf 2022 nun gut leben und werden diesem daher auch zustimmen.