Speech · Sybilla Nitsch · 26.01.2023 Der SSW fordert ein klares Bekenntnis zu mehr Tarifbindung und fairen Vergaben
„Ein Leben lang zu arbeiten und im Alter arm zu sein, ist in Schleswig-Holstein leider für viele Rentner:innen eine bittere Realität. Arbeit im Niedriglohnsektor macht arm. Niedrige Löhne machen arm.“
Sybilla Nitsch zu TOP 28 - Stärkung der Tarifbindung in Schleswig-Holstein (Drs. 20/586)
Michael Saitner, der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, hat es am Freitag beim SSW-Neujahrsempfang noch einmal deutlich gemacht: Schleswig-Holstein ist ein Land, in dem viele Arme leben. Armut im Alter ist dabei oft die Folge von Beschäftigung im Niedriglohnbereich. Ein Leben lang zu arbeiten und im Alter arm zu sein, ist in Schleswig-Holstein leider für viele Rentner:innen eine bittere Realität. Arbeit im Niedriglohnsektor macht arm. Niedrige Löhne machen arm.
Diese Realität bleibt allzu oft unter dem Radar, denn Armut erschwert auch die politische Teilhabe und steht deswegen zu selten auf der politischen Tagesordnung. Darum ist der Antrag der SPD-Fraktion ausdrücklich zu begrüßen. Wir müssen über die Wirklichkeit der armen Menschen auf dem Laufenden bleiben. Aber, was noch wichtiger ist: Wir müssen ihre Situation verbessern.
Das sehen wohl nicht alle so.
Die Landesregierung hat ihrem Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, nämlich die Tarifbindung zu stärken, bislang noch keine Taten folgen lassen. Ein Tariftreuegesetz, das der Landesregierung aufgegeben hätte, Aufträge nur an tariflich gebundene Betriebe zu vergeben, gibt es immer noch nicht. Die Achtung einer fairen Lieferkette findet sich nicht als Verpflichtung bei öffentlich vergebenen Aufträgen, sodass die Gefahr besteht, dass Steuergelder unfaire Beschäftigungen mitfinanzieren. Beides, das fehlende Tariftreuegesetz und die Weigerung, Steuergelder nur bei Aufträgen mit fairen Lieferketten zu vergeben, kommt als deutliches Signal bei den Betrieben an.
Dort versteht man, dass für die Landesregierung faire Löhne eher eine untergeordnete Rolle spielen. Dieses schlechte Vorbild sollte aber nicht Schule machen.
Klar ist, dass die Tarifautonomie unangetastet bleiben muss. Staatlich verordnete Löhne kommen nicht infrage. Klar ist aber auch, dass das Ignorieren der Folgeprobleme niedriger Löhne den gesamten Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein gefährden.
Schleswig-Holstein ist das Land der regenerativen Energieerzeugung und des Tourismus. Und ausgerechnet in diesen Branchen gibt es massive Rekrutierungsprobleme. Die haben ihre Ursache auch in niedrigen Löhnen und in Arbeitgebern, die den harten Wettbewerb um Fachkräfte noch nicht wahrhaben wollen. Elektroniker, Mechatroniker, Industriemechaniker, Köche und Kellner werden händeringend gesucht. Fachkräfte finden sich kaum noch. Aber viele Arbeitgeber haben immer noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt. Das geht uns alle an, weil wir alle unter den Folgen leiden.
Ich würde mir wünschen, dass alle Fachbereiche in der Landesregierung dieses wichtige Thema im Auge behalten. Ohne Fachkräfte wird Schleswig-Holstein zur verlängerten Werkbank verkommen und den Anschluss an den Weltmarkt verlieren.
Das Ziel, das erste, klimaneutrale Industrieland zu werden, rückt mit jeder Weigerung eines Arbeitgebers, Urlaubs- oder Weihnachtsgeld zu zahlen oder sich durch einen Tarifvertrag zu binden, weiter in die Ferne.
Erstes klimaneutrales Industrieland mit dem Ziel, durch Ausbau der Windenergie bis 2030 eine jährliche Energieerzeugung von 30-35 Terrawattstunden zu erreichen: Hört sich gut an?
Das geht nur mit guter Arbeit in den dazugehörigen Branchen. Ist dies der Fall? Fehlanzeige.
Seit November stehen Mitarbeitende eines namhaften Windanlagenherstellers bei uns zu Hause in Husum vor der Firmenzentrale und streiken. Sie fordern regelmäßige Tarifsteigerungen, Sonderzahlungen oder Altersteilzeit.
Wir im SSW sagen, genau diese Forderungen müssten selbstverständlich sein für gute Arbeit.
Auch hier aus dem Parlament erwarten wir als SSW ein klares Bekenntnis zu mehr Tarifbindung und fairen Vergaben.
Der Wirtschaftsminister hat eine schwierige Aufgabe vor sich. Im letzten Umsetzungsbericht der Landesregierung für die Jahre 2019 und 2020 sucht man das Wort „Tarif“ vergeblich. Stattdessen ist von leistungsgerechter Bezahlung, unter anderem im Tourismusbereich, die Rede. Es ist an der Zeit, die Konsequenzen aus Erkenntnissen zu ziehen und in Sachen fairen Lieferketten und Tariftreue Nägel mit Köpfen zu machen.
Wir werden im Wirtschaftsausschuss das Thema weiter vertiefen. Ich möchte aber schon jetzt ankündigen, dass die Opposition vom Wirtschaftsminister erwartet, dass er nicht nur Infokampagnen vorstellt, sondern klare Maßnahmen; auch und gerade, was die Tarifbindung in Schleswig-Holstein betrifft.