Speech · Jette Waldinger-Thiering · 12.12.2024 Kein falsch verstandener Datenschutz für Täter

„Die sogenannte häusliche Gewalt oder partnerschaftliche Gewalt ist eine geschlechtsspezifische Gewalt. Sie ist ein strukturelles Problem und muss auch von Seiten des Staates als ein solches erkannt und bekämpft werden. Und wir müssen ihr mit wirksamen staatlichen Instrumenten begegnen. Für den SSW stehen Intervention und Schutz im Vordergrund. Es reicht!“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 9 - Gesetz zum besseren Schutz von Opfern häuslicher Gewalt und bei Nachstellungen durch den Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung und weitere Änderungen des Landesverwaltungsgesetzes (Drs. 20/2746)

Früher konnte ich folgende beiden Sätze auswendig und habe sie regelmäßig wiederholt: 
„Jeden Tag versucht ein Ex-Partner oder Partner eine Frau zu ermorden. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet.“
Nach dem Lagebild zu „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten" aus dem Bundesinnenministerium, das erst im November veröffentlicht worden ist, muss ich diese Sätze nach oben korrigieren. 
Denn 2023 wurden insgesamt 360 Mädchen und Frauen in Deutschland Opfer vollendeter Tötungsdelikte. Fast jeden Tag wurde in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. 
Fast jeden Tag stirbt eine Frau in Deutschland an einem Femizid. 
Auch in den anderen Bereichen waren die Zahlen angestiegen. 
Mehr als 52.000 Frauen und Mädchen waren 2023 Opfer von Sexualstraftaten, mehr als die Hälfte der Opfer war unter 18 Jahren.

Meine Damen und Herren, es reicht. Es reicht, es reicht, es reicht!

Es muss jetzt auch beim Allerletzten angekommen sein, dass wir ein gesamtgesellschaftliches, ein strukturelles Problem in Deutschland haben. Ein Problem, das für die Hälfte der Bevölkerung lebensgefährlich ist.

Es reicht mit falsch verstandenem Datenschutz für Täter. 
Es reicht mit Berichterstattung über Gewaltspiralen, die nicht unterbrochen werden. 
Und es reicht mit Fragen an Betroffene, warum sie sich Gewalt haben antun lassen.
Meine Damen und Herren. Man sucht sich das nicht aus. 
Es ist endlich an der Zeit, auf die Personen zu gucken, von denen die Gewalt ausgeht, von denen die Gefahr ausgeht.

Und deswegen unterstützen wir als SSW aus voller Überzeugung den vorgelegten Gesetzentwurf zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung, zur Erweiterung von Maßnahmen zum Schutz der Opfer von häuslicher Gewalt und Nachstellung, zur Täterpräventionsarbeit und zum Ausweiten polizeirechtlicher und zivilrechtlicher Schutzinstrumente.

In Spanien wurde 2004 ein Gesetz über umfassende Schutzmaßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt verabschiedet. Es beinhaltet viele verschiedene Aspekte, unter anderem wurde aber in diesem Rahmen der Weg dafür geebnet, dass Gerichte das Tragen einer elektronischen Fußfessel anordnen können, um Kontakt- und Annäherungsverbote von Gewalttätern zu überwachen. 
Und wir brauchen diese Möglichkeit.

Ich war als SSWerin immer stolz darauf sagen zu können, dass unsere Landtagsabgeordnete Silke Hinrichsen im Jahr 2000 parlamentarisch angestoßen hat, dass ein polizeilicher Platzverweis für Gewalttäter im häuslichen Bereich ausgesprochen werden konnte. 
Aber wir müssen eben verstehen, das reicht nicht aus. 
Bei allen Bemühungen, bei allem, was in diesem Land als politischer Konsens gilt, müssen wir trotzdem eines feststellen: 
Gewalttäter setzen sich darüber hinweg.

Wir brauchen einen wirklichen Schutzraum, der um die von Gewalt betroffene Person gezogen wird. Das spanische Modell sieht einen dynamischen Schutzraum vor. 
Sobald der Abstand zwischen Gewalttäter und Betroffener weniger als 500 Meter beträgt, schlägt das System Alarm, und die Polizei kann schnell reagieren. Die betroffene Person wird kontaktiert und beschützt.
Die Zahl der Femizide ist in Spanien im Übrigen drastisch gesunken.

Es wird im parlamentarischen Anhörungsverfahren noch darum gehen, wie genau die elektronische Aufenthaltsüberwachung ausgestaltet werden wird. Es wird um ein paar rechtliche Abwägungen gehen. Wir werden debattieren, ob die angedachten vier Wochen ausreichen. Ich möchte mir auch gerne darüber berichten lassen, ob es Erfahrungen mit dem praktischen Umgang von Gewaltschutzarmbändern oder Fußfesseln gibt. Auch mit Blick darauf, ob sich die Bänder entfernen lassen und welche rechtlichen Konsequenzen darauf folgen sollten.

Aber letztlich steht für uns als SSW schon fest: 
Die sogenannte häusliche Gewalt oder partnerschaftliche Gewalt ist eine geschlechtsspezifische Gewalt. Sie ist ein strukturelles Problem und muss auch von Seiten des Staates als ein solches erkannt und bekämpft werden. Und wir müssen ihr mit wirksamen staatlichen Instrumenten begegnen. Für den SSW stehen Intervention und Schutz im Vordergrund. Es reicht!

 

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