Rede · Jette Waldinger-Thiering · 20.06.2024 Werkstatttage solide durchplanen

„Berufsorientierung ist dank vieler engagierter Lehrkräfte inzwischen auch in den Gymnasien angekommen. Doch ich würde mir ganz im Sinne des Antrages wünschen, dass die fachpraktischen Elemente der beruflichen Bildung in den Gymnasien präsenter werden – weil das den Entscheidungsraum der Schülerinnen und Schüler erweitert. Immer noch beschäftigen sich viele Gymnasien mit der Berufsorientierung, ohne dass die Schülerinnen und Schüler dafür die Schule verlassen.“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 19 - Werkstatttage landesweit zur Verbesserung der Berufsorientierung nutzen (Drs 20/2143)

Berufsorientierung in den Schulen ist prinzipiell eine gute Sache und gehört zu den Kernaufgaben der Schule.  Schülerinnen und Schüler sollten Entscheidungen über ihren zukünftigen beruflichen Werdegang nicht von Zufällen abhängig machen müssen, also davon, ob sie jemand in ihrem Berufsfeld kennen oder neben einem wohnen, sondern auf Basis umfangreicher Informationen. Immer noch entscheidet sich beispielsweise die Mehrheit bei der Wahl des Ausbildungsplatzes für einen von zehn Berufen. Auf diese Weise können sich die Kompetenzen nicht entfalten, wenn man das Erstbeste nimmt. Das führt dann zu Frust und dem Abbruch der Ausbildung. Es gibt reichlich Informationen über berufliche Inhalte, aber offenbar erreichen sie nicht immer die Betroffenen.
Die Kammern bieten viele Möglichkeiten, die berufliche Orientierung in den Schulalltag zu integrieren. Aber es sind vor allem die Betriebe, auf die es ankommt. Wir haben in der Landtagsfraktion aktuell Praktikantinnen. Das bedeutet, dass sich viele Arbeitsabläufe verlängern, weil wir Vieles erklären müssen. Auch Werkstatttage bedeuten für Handwerk, Industrie und Dienstleistung erst einmal eine gewisse Mehrarbeit. Wer zum Beispiel eine Praktikantin auf eine Baustelle mitnehmen muss, sollte vorher für Sicherheitsschuhe sorgen, einen Ansprechpartner schulen und eine entsprechende Einweisung vornehmen. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: dieser Einsatz lohnt sich. 
sabotieren wir letztendlich dieses Projekt. In dieser Hinsicht muss der Antrag unbedingt ergänzt werden; hier müssen wir nachliefern und auch eine langfristige Finanzierung einplanen. Darüber hinaus ist eine fachliche Begleitung der Werkstatttage sehr wichtig, so dass sie im Konzept verankert werden muss. Sie muss ebenso gewährleistet werden wie eine wissenschaftliche Evaluierung. Die Werkstatttage sind ein gutes Konzept, das auch bei den Jugendlichen gut ankommt. Aber genau deswegen müssen wir diesen Teil der Berufsorientierung solide planen.
Praxisnahe Berufsorientierung sollte in allen Schultypen eine Rolle spielen; und damit meine ich ausdrücklich auch die Schulen für Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen. Diese Gruppe spart der Antrag aus. Auch an dieser Stelle muss noch nachgelegt werden.  
Zum Abschluss möchte ich ganz besonders auf die Gymnasien hinweisen. Natürlich ist deren Ausrichtung aufs Studium bezogen, doch viele Schülerinnen und Schüler kritisieren diese Ausrichtung als einengend. Tatsächlich ist es doch so, dass in Schleswig-Holstein das Abitur nicht zwangsläufig oder direkt im Anschluss an die Hochschulen führt. Diese Situation müssen wir doch anerkennen und nicht weiterhin so tun, als ob das die totale Ausnahme sei. Berufsorientierung ist dank vieler engagierter Lehrkräfte inzwischen auch in den Gymnasien angekommen. Doch ich würde mir ganz im Sinne des Antrages wünschen, dass die fachpraktischen Elemente der beruflichen Bildung in den Gymnasien präsenter werden – weil das den Entscheidungsraum der Schülerinnen und Schüler erweitert. Immer noch beschäftigen sich viele Gymnasien mit der Berufsorientierung, ohne dass die Schülerinnen und Schüler dafür die Schule verlassen. Berufsorientierung im Klassenzimmer ist aber nur die halbe Sache. Da werden dann theoretischen Aufgaben gestellt, die schriftlich beantwortet werden sollen. Das empfinde ich völlig lebensfremd. Gerade die Gymnasien sollten Tage in betrieblichen Werkstätten ermöglichen. Das, was man aus eigener Anschauung beurteilen kann, ist allemal nachhaltiger als das ein Schulaufsatz sein kann. Dazu gehört auch, dass erst ein Werkstatttag Einblicke in den beruflichen Alltag ermöglicht, der auch zeigen kann, dass der Wunschberuf doch nicht mit den eigenen Präferenzen übereinstimmt.

 

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