Rede · 17.07.2008 Unterbringung und Zwangsarbeit von Kindern/Jugendlichen in ehemaligen Heimen der Landesfürsorgeerziehung
Eine Aufarbeitung der bundesweiten Heimerziehung in den 50’er und 60’er Jahren geschieht seit etwa fünf Jahren im Petitionsausschuss des Bundestages. Dort fordern ehemalige Heimzöglinge aus jener Zeit ihr Recht auf Entschädigung und eine Entschuldigung für das Unrecht, das an ihnen begangen wurde. Insgesamt ist dies ein besonders dunkles Kapitel westdeutscher Geschichte und seiner Justiz- und Sozialpolitik. Was sich seinerzeit hinter den Mauern von staatlichen und kirchlichen Einrichtungen zugetragen hat, macht tief betroffen. Es hat - nicht nur nach heutigem Ermessen - nichts mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu tun.
Daher ist es auch angemessen, dass sich der Landtag mit dem Schicksal der ehemaligen „Heimkinder“ befasst. Ich muss aber auch sagen, dass ich es sehr bedauerlich finde, dass es nicht gelungen ist, den Ursprungsantrag der Grünen in einen interfraktionellen Antrag umzuwidmen. Aus Sicht des SSW wäre es der Sache angemessen gewesen, wenn der Schleswig-Holsteinische Landtag sich gleich parteiübergreifend positioniert hätte. Dies wäre auch ein Signal für die Betroffenen. Unterm Strich bleibt festzustellen, dass wir über einen gemeinsamen Berichtsantrag nicht hinaus gekommen sind. Soll heißen, wenn der Bericht vorliegt, sollten wir dieses unbedingt nachholen.
Wer sich mit dem Thema „Heimkinder“ näher befasst, wird unweigerlich bei seiner Recherche feststellen, dass sich das Landesfürsorgeheim Glückstadt durch sein unrühmliches Ansehen besonders hervortut.
Das Gebäude in Glückstadt hatte bereits eine Vorgeschichte, bevor es als Landesfürsorgeheim in den 50’er, 60’er und 70’er Jahren genutzt wurde. Als Korrektionsanstalt und Landesarbeitsanstalt wurde es von 1875 bis 1933 genutzt und in der Nazi-Zeit wurde das Gebäude als so genanntes „wildes KZ“ genutzt, daneben und danach bis 1945 weiter als Landesarbeitshaus. Es stellt sich hierbei die Frage, was man sich überhaupt dabei gedacht hat, Kinder und Jugendliche in einem Gebäude mit einer solchen Geschichte wegzusperren. Es macht aber deutlich und ist symbolisch dafür, nach welchem Muster die Erziehung in dem Heim stattgefunden hat. Ziel dieser Erziehung war es, Kindern und Jugendlichen ihr unsittliches und asoziales Verhalten auszutreiben und um sie unter furchtbaren Bedingungen gefügig zu machen, damit sie gehorsam und ordentlich wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden können.
Es handelte sich hierbei nicht ausschließlich um jugendliche Straftäter, die eine Strafe abzusitzen hatten - auch waren zum damaligen Zeitpunkt nicht alle Insassen als Straftäter verurteilt. Sie waren gesellschaftlich verurteilt und die Einweisungsgründe reichen von „Arbeitsscheu triebhaft“ und „Arbeitsscheu haltlos“ bis erziehungsschwierig, kriminell gefährdet und schwachsinnig. Damit es hier nicht zu Missverständnissen kommt, auch jugendliche Straftäter hätten damals niemals unter solchen Bedingungen weggesperrt werden dürfen.
Der „Ausschuss für Volkswohlfahrt“ des Schleswig-Holsteinischen Landtages hat sich 1969 - nachdem es einem Aufstand im Landesfürsorgeheim gegeben hat – in zwei Sitzungen mit dem Landesfürsorgeheim beschäftigt. Mit Entsetzen liest man die Protokolle von damals und steht fassungslos der Tatsache gegenüber, dass das Heim erst Ende 1974 geschlossen wurde.
Wir haben heute die Chance dieses Kapitel gemeinsam mit damaligen Heiminsassen aufzuarbeiten. Daher begrüßen wir die Initiative von Ministerin Trauernicht, ehemalige Jugendliche der damaligen Landesfürsorgeanstalt Glückstadt, zu einem Runden Tisch einzuladen und darüber hinaus zwei Mitarbeiter im Landesarchiv einzustellen, um die dort lagernden über 7000 Akten zu ordnen und zu archivieren. Eine Dokumentation des ersten Runden Tisches liegt bereits vor. Gemeinsam wurde dort beschlossen, dass eine weitergehende Aufarbeitung verfolgt werden soll. Ich denke, dies macht deutlich, dass Schleswig-Holstein sich seiner Verantwortung gegenüber den seinerseits Schutzbefohlenen bewusst ist.