Rede · Jette Waldinger-Thiering · 22.03.2024 Sexuelle Gewalt muss konsequenter bekämpft werden
„Die vertrauliche Spurensicherung ist deswegen so wichtig, weil sie es Betroffenen von Gewalt und sexualisierter Gewalt ermöglicht, selbstbestimmter mit diesen Taten umzugehen.“
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 17 - Gewalt konsequent ahnden – Vertrauliche Spurensicherung konsequent absichern (Drs. 20/1971)
Viele von Ihnen hatten sicherlich genau wie ich ein Poster vor Augen. Mir jedenfalls ist es sofort wieder in den Kopf gekommen, als wir uns über diesen Antrag in der Fraktion ausgetauscht haben.
Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe nutzt die Graphik seit 2014. Zu sehen sind symbolische 1000 kleine Figuren. Sie stehen in ihrer Gesamtheit für die stattfindenden Vergewaltigungen. Der mit Abstand größte Teil von ihnen ist in lila eingefärbt; die Taten die begangen, aber nie verurteilt werden. Ein kleiner Teil oben in der Ecke ist in rosa eingefärbt, der Teil, der angezeigt wird. Einige wenige Figuren sind pink eingefärbt: sie stehen für die Täter, die tatsächlich verurteilt werden.
Was diese Graphik schafft ist, eine Vorstellung von einem komplexen Problem zu vermitteln.
Wenn es um dieses Phänomen geht, arbeitet die Wissenschaft mit statistischen Auswertungen, aber auch mit Dunkelfeldforschungen. Wir müssen uns da, was die Zahlen angeht, immer ein bisschen annähern.
Was wir durch verschiedene Forschungen aber ziemlich sicher wissen, ist folgendes:
Etwa jede siebte Frau erlebt in Deutschland im Laufe ihres Lebens sexualisierte Gewalt. Nur 5-15% der Taten werden überhaupt angezeigt. Von diesen Taten wiederum werden etwa 7-8% tatsächlich verurteilt.
Das hat viele verschiedene Gründe. Es hat etwas mit Stigmatisierung zu tun, mit Scham, mit Trauma, mit unserem Rechtssystem. Oft kommen die Täter aus dem eigenen sozialen Umfeld. Oft sind es Partner oder Ex-Partner. Oft können Betroffene erst einmal nicht über die Tat sprechen.
Und die niedrige Verurteilungsrate droht Teil einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden.
Die vertrauliche Spurensicherung ist neben dem Hochrisikomanagement und dem Ausbau der Frauenhausplätze als Teil eines Gesamtgebildes zu sehen, um politisch gegen Gewalt und sexualisierte Gewalt vorzugehen, bzw. vor allem, wie es der Titel dieses Antrages sagt, Gewalt konsequent zu ahnden.
Die vertrauliche Spurensicherung ist deswegen so wichtig, weil sie es Betroffenen von Gewalt und sexualisierter Gewalt ermöglicht, selbstbestimmter mit diesen Taten umzugehen. Denn sie greift noch vor dem Gang zur Polizei, vor dem Kontakt mit Behörden und vor dem Eingehen eines Prozesses. Auch wenn die Betroffenen zunächst keine Strafanzeige erstatten wollen, wird es ihnen so möglich, ihre Verletzungen zeitnah und gerichtsverwertbar dokumentieren zu lassen. Nach der Dokumentation werden die Untersuchungen anonym gespeichert.
Das Land muss sich darum kümmern, dass die Finanzierung geregelt ist.
Seit 2015 fördert die Landesregierung die vertrauliche Spurensicherung bei häuslicher und sexualisierter Gewalt im Rahmen des Opferschutzes.
Die Angebote sollen flächendeckend und niederschwellig sein.
Laut Auskunft des Sozialministeriums ist es momentan so: Das UKSH fungiert als Anlaufstelle für Menschen aus Kiel, Lübeck, Flensburg und Neumünster sowie aus den Kreisen Ostholstein, Plön, Rendsburg-Eckernförde, Nordfriesland und Schleswig-Flensburg. Das Uni-Klinikum Eppendorf übernimmt dies für die Kreise Dithmarschen, Steinburg, Pinneberg, Segeberg, Stormarn und Herzogtum-Lauenburg. Darüber hinaus gibt es ein zusätzliches Netz von Partnerkliniken und Kooperationspartnern, das für ein flächendeckendes kostenloses Angebot sorgen soll.
Wie so viele andere auch, sind eben auch diese Kooperationspartner von Kostensteigerungen betroffen und deswegen begrüßen wir den Haushaltsantrag der Grünen, der hier die Mittel aufstockt.
Gleichzeitig ist es vollkommen richtig, die Finanzierung in dem Sinne neu aufzustellen, dass
das Land mit den Krankenkassen einen Vertrag über die Finanzierung abschließt – so sieht es das Sozialgesetzbuch vor. Außerdem glaube ich, dass es sich lohnt, noch besser auf dieses Angebot aufmerksam zu machen, etwa auch mit mehrsprachigen Aushängen in Krankenhäusern und Arztpraxen.
Lassen Sie uns in Schleswig-Holstein weiter gut zusammenarbeiten, um gemeinsam weiter gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen.