Rede · Christian Dirschauer · 20.11.2024 Reförmchen mit Spardiktat
„Der Fokus auf Verlässlichkeit ist schön und gut – er zeigt aber auch, dass CDU und Grüne beim Thema Kita mittlerweile in den Mängelverwaltungsmodus geschaltet haben“
Christian Dirschauer zu TOP 6 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes (Drs. 20/2496 und 20/2629)
Wenn wir auf die vielen vergangenen Debatten zum Kitareformprozess zurückblicken, dürfte eins recht deutlich werden: Am guten Willen und an der konstruktiven Grundhaltung des SSW hat es an keiner Stelle gemangelt. Für uns ist völlig klar, dass die Kitareform - oder besser gesagt: eine erfolgreiche Kitareform - zu den Topprioritäten der Landespolitik zählen muss. Der Grund dafür ist denkbar einfach: Denn einer gut aufgestellten frühkindlichen Bildung kommt eine absolute Schlüsselrolle zu, wenn es um die gesamte Bildungsbiografie und damit um ein Leben in Würde und Selbstbestimmung geht. Es ist längst erwiesen, dass ein ressourcenstarkes frühkindliches Bildungssystem einen erheblichen Beitrag dazu leistet, die unterschiedlichen Potenziale und Chancen der Kinder anzugleichen. Und damit ist es dem Grunde nach auch völlig unstrittig, dass sich Investitionen in diesem Bereich gesamtgesellschaftlich auszahlen.
Dieser Grundsatz wurde im Reformprozess in dieser oder ähnlicher Form von nahezu allen Kolleginnen und Kollegen geteilt. Sowohl die Bedeutung der frühkindlichen Bildung als auch die Tragweite der Reform sind demnach allen hier Anwesenden bewusst. Diese hohe Priorität mag aus Sicht vieler Eltern oder aus Sicht der Träger oder der Menschen, die in Kita oder Kindertagespflege arbeiten, selbstverständlich sein. Mir ist es aber wichtig, das einmal festzuhalten. Und zwar deshalb, weil es angesichts der wachsenden Herausforderungen und der enger werdenden finanziellen Spielräume immer wichtiger werden wird, sich an diesen Konsens zu erinnern. Dies und die Tatsache, dass wir hier über einen Rechtsanspruch und einen konkreten Bildungsauftrag reden, macht eins klar: Es gibt keine Alternative zu einer gelingenden Kitareform und damit zur Erreichung der zugrundeliegenden Ziele. Schon allein, weil wir hier über eine so zentrale Zukunftsinvestition reden.
Wenn wir uns klar machen, was der Ausgangspunkt für dieses Gesetz war und wo wir heute stehen, dann wird das Ausmaß der Aufgabe ziemlich deutlich: Nicht nur Eltern, sondern auch Kommunen sollten spürbar finanziell entlastet werden. Außerdem war es erklärtes Ziel, die Qualität in der frühkindlichen Bildung deutlich zu steigern. Gleichzeitig war aber schon zu Beginn der Reform bekannt, dass wir nicht nur zu wenig Betreuungsplätze, sondern auch zu wenig Fachkräfte im System haben. Noch dazu waren mit dem wichtigen Ziel einer transparenten finanziellen Neuordnung erhebliche Unwägbarkeiten verbunden. Einige Variablen konnten nicht genau beziffert, sondern mussten annäherungsweise geschätzt werden. Konsequenterweise war daher auch ein Evaluations- oder Lernprozess im Verfahren selbst mit angelegt. Diese Dinge wurden nicht nur vom SSW ausdrücklich mitgetragen, sondern waren hier weitestgehend Konsens.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Reform des Kita-G alles andere als ein Selbstgänger ist. Weder die Initiatoren noch die Folgeregierung haben hier einfache Rahmen- oder Startbedingungen vorgefunden. So viel ist klar. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Schwarz-Grün die kitapolitischen Ziele bis heute nicht erreicht. Laut Rechnungshof steht mit dieser Reform ein 1,8 Milliarden-Euro-Projekt zur Abstimmung, für das es streng genommen keine finanzielle Transparenz gibt. Von Trägerseite bestehen größte Bedenken, ob das Qualitätsniveau unter den gegebenen Umständen überhaupt auch nur ansatzweise gehalten werden kann. Die Kommunale Familie sorgt sich angesichts eines weiterhin ganz erheblichen Finanzierungsdeltas vor finanziellen Mehrbelastungen. Und auch auf Elternseite gibt es kaum noch Stimmen, die ernsthaft mit einer weiteren Entlastung bei den Beiträgen rechnen. Im Gegenteil: Wenn man bedenkt, dass der Betreuungsschlüssel und damit eben auch die Qualität in den Randzeiten abgebaut wird, zahlen sie faktisch den gleichen Preis für eine verringerte Leistung.
Leider ist das, was ich hier gerade beschrieben habe, nicht nur meine persönliche Wahrnehmung als Oppositionspolitiker und Vater dreier Kinder, die gerade erst aus dem Kitaalter raus sind. Sondern es entspricht immer mehr dem allgemeinen Stimmungsbild. Das hat auch die entsprechende Anhörung des Sozialausschuss vor nicht einmal 2 Wochen eindrucksvoll bestätigt. Dort wurden nicht nur massenhaft Baustellen aufgezeigt, von denen ich nur einige erwähnt habe. Sondern es wurde leider auch auf den Umstand hingewiesen, dass sich mittlerweile weder mittel- oder unmittelbar Betroffene noch direkt Beteiligte gehört oder mitgenommen fühlen. So wurden die Auswirkungen der Reform zwar planmäßig evaluiert, aber die Ergebnisse finden sich eben nicht oder kaum in den aktuellen Änderungen wieder. Und auch über die Arbeit im Kita-Fachgremium oder aus den vielen Arbeitsgruppen zur Thematik wird berichtet, dass zwar Empfehlungen erarbeitet werden, diese dann aber im Zweifel nicht oder nur unzureichend berücksichtigt werden. Eine solche Entwicklung ist aus meiner Sicht brandgefährlich. Denn ohne die Akzeptanz vor Ort wird diese Reform wohl kaum gelingen.
Ich denke es ist keine Übertreibung, wenn man die vergangene Anhörung zum Kitagesetz als Klatsche bezeichnet. Neben viel berechtigter Detailkritik wurde deutlich, dass nicht nur die kommunale Familie, sondern auch die Träger bis heute Transparenz und finanzielle Planungssicherheit vermissen. Nahezu alle Anzuhörenden haben davor gewarnt, dass in der Tendenz keine Verbesserung, sondern die Absenkung von Standards und damit der Bildungsqualität droht. Und die Tatsache, dass die inklusive frühkindliche Bildung von den Regierenden eher als Randnotiz gesehen wird, ist aus meiner Sicht nicht nur symptomatisch, sondern vor allem traurig. Ich will gewiss nicht unterschlagen, dass CDU und Grüne nochmal nachgebessert haben. Und vor allem die Ansätze, die darauf zielen die Standardqualität von 2,0 Fachkräften gesetzlich abzusichern, erkennen wir ausdrücklich an. Aber es wurde gleichzeitig offen eingestanden, dass die vorgenommenen Veränderungen keinerlei Kosten verursachen durften. Wenn wir uns ein solches Spardiktat auf der einen und die grundlegenden Ziele der Reform auf der anderen Seite vor Augen führen, ist das unterm Strich leider echt zu wenig.
Wir alle haben hier die große Bedeutung des Kitasystems betont. Aber wenn wir zugleich einen nüchternen Blick auf die Herausforderungen werfen, für die die Landespolitik Antworten finden muss, dann fürchte ich, dass ein solches Vorgehen nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner nicht ausreicht. Natürlich sehen auch wir die schwierige finanzielle Lage des Landes. Aber spätestens, wenn die Regierenden konkrete Tatsachen, wie etwa den faktischen Bedarf an Ausfalltagen, verweigern, um Kosten zu begrenzen, wird es schräg. Damit setzt man die Akzeptanz dieser Reform aufs Spiel. Gleichzeitig reden wir hier immer weniger über Kitaqualität als zentrales Thema, sondern über Verlässlichkeit. Dieser Fokus auf eine verlässliche Kita ist natürlich vor allem aus Sicht der Eltern wichtig. Keine Frage. Er zeigt aber auch, dass CDU und Grüne beim Thema Kita mittlerweile in den Mängelverwaltungsmodus geschaltet haben. Und weil man damit weder dem Anspruch der Reform noch Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel und schon gar nicht den Kitakindern selbst gerecht wird, müssen wir diesen Gesetzentwurf leider ablehnen.