Rede · Lars Harms · 26.01.2024 Quick Freeze statt Vorratsdatenspeicherung

„Der SSW hat sich bereits 2015 gegen die Vorratsdatenspeicherung als unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte ausgesprochen. Ich sehe keine Veranlassung, von diesem Weg abzuweichen. Mit dem Quick Freeze Verfahren gibt es nämlich eine gangbare Alternative.“

Lars Harms zu TOP 16 - Rechtsstaatlicher Schutz unserer Kinder im Netz statt Chatkontrolle (Drs. 20 /1689)

Alle Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, frei und unkontrolliert zu kommunizieren und sich Informationen zu beschaffen. Das Internet ermöglicht diesen Austausch in nie gekanntem Ausmaß. Leider haben auch Kriminelle diese Vorteile entdeckt und nutzen sie für ihre Zwecke. Und es sind mitnichten nur Kinder, die unter Missbrauchsdarstellungen leiden, wie es der Titel des Antrags vermuten lässt. Auch Erwachsene können durch derartige Dateien traumatisiert und geschädigt werden. Darüber hinaus kapern immer mehr Täter Konten in sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram, um auf diese Weise unerkannt kinderpornografisches Material zu verbreiten. Bislang konnten die Täter nicht immer dingfest gemacht werden. Die Zahl der Opfer kann nur geschätzt werden. 
Dementsprechend sind die Fallzahlen weiter hoch; eine Trendwende ist nicht zu erkennen. Internet-Firmen hatten 2021 weltweit 85 Millionen Bilder und Videos mit Missbrauchsdarstellungen gemeldet – die Dunkelziffer dürfte beträchtlich höher sein.  Eine effektive Strafverfolgung liegt also in unser aller Interesse. 
Aber gerade aufgrund der erheblichen, emotionalen Bedeutung des Themas besteht die Gefahr, den Bogen zu überspannen, indem ein Generalverdacht erwächst und man fordert, dass alle unsere Daten gespeichert werden. Der SSW hat sich bereits 2015 gegen die Vorratsdatenspeicherung als unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte ausgesprochen. Ich sehe keine Veranlassung, von diesem Weg abzuweichen.
Mit dem Quick Freeze Verfahren gibt es nämlich eine gangbare Alternative. Sobald ein Verdacht aufkommt, werden die Verkehrsdaten des Verdächtigen gesichert und eben nicht automatisch gelöscht. Während Strafverfolgungsbehörden auf einen richterlichen Beschluss warten, um Daten bei privaten Telekommunikationsunternehmen einsehen zu können, kann es nämlich passieren, dass die Daten zwischenzeitlich gelöscht wurden. Das Quick Freeze Verfahren hält die Löschung auf, weil die Daten gespeichert werden, ohne sie allerdings auszuwerten. Sie werden zur späteren Auswertung quasi ins Gefrierfach gelegt.  Erst im Bedarfsfall können die Daten wieder aufgetaut werden und unter richterlichem Vorbehalt zur Strafverfolgung eingesetzt werden. Eine vollständige Datenspeicherung aller daten von allen Bürgern wird auf diesem Wege vermieden, ohne dass die Strafverfolgung behindert wird.
Die EU möchte, die gesamte digitale Kommunikation mittels bestimmter Schlüsselworte scannen. Das hat schlimme Konsequenzen: es geraten nämlich alle Bürgerinnen und Bürger, die sich digital austauschen, ob nun über soziale Netzwerke oder im privaten Chat von Messanger-Diensten, ins Visier. Das ist eine schlimme Grenzüberschreitung im Namen des Kinderschutzes. 
Die EU setzt dabei weiter auf technische Lösungen; ich fürchte, dass die Lobby der Software-Industrie in Brüssel sehr mächtig ist. Automatismen helfen uns aber nicht weiter. Nicht jedes Schlagwort bedeutet automatisch Kinderpornografie und nicht jede Weiterleitung kinderpornografischen Materials ist automatisch ein Straftatbestand. So gibt es den Fall einer Lehrerin, die eine Mutter über unerlaubte Aufnahmen ihrer Tochter warnen wollte und diese deshalb weiterschickte. So geriet sie ins Visier der Strafverfolgung. Hier muss es rechtliche Regelungen geben, die genau das verbinden. Und deshalb darf es eben auch kein automatisiertes Scannen geben. 
Der menschliche Faktor ist einer künstlichen Intelligenz weit überlegen; wenn auch deren Unterstützung angesichts der Millionen an Fallzahlen sehr wichtig ist.
Quick Freeze ist de facto eine Datenspeicherung; sie sollte aber nur unter strengen Regeln angewendet werden können. Und das ist auch ausreichend, um gegen Kinderpornografie vorgehen zu können.

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