Rede · Christian Dirschauer · 21.06.2024 Plan- und vor allem strategielos
„Eine Landespflegestrategie muss mit konkreten Maßnahmen und finanziellen Zusagen hinterlegt sein - nur so lassen sich wirklich spürbare Verbesserungen und Entlastungen für professionell Pflegende und pflegende Angehörige erreichen“
Christian Dirschauer zu TOP 25A - Dringlichkeitsantrag - Landespflegestrategie Schleswig-Holstein (Drs. 20/2245)
Wenn die Herausforderungen, vor denen wir im Pflegebereich stehen, nicht so immens wären, könnte man es ja fast mit Humor nehmen: Da wird von Seiten der Koalition urplötzlich im März ein mündlicher Bericht zur Entwicklung einer Landespflegestrategie beantragt. Dieser Bericht wird dann aber nicht nur in der März-, sondern auch in der Maitagung verschoben. Und schließlich, für dieses Plenum wird er sogar im Vorfeld zurückgezogen. Chaotischer könnte es vom Verfahren her kaum laufen. Aber leider geht es um mehr als nur um die Monate, die hier ungenutzt verstreichen: Denn ein solcher Vorgang bei einem so zentralen Thema zeigt, wie erschreckend wenig die Landesregierung auf diesem Feld zu bieten hat. Und er zeigt auch, dass CDU und Grüne reichlich plan- und vor allem strategielos auf diese Riesenherausforderung zusteuern.
Ich will gar nicht groß darauf rumreiten, wie das, was uns Schwarz-Grün nun als Pflege-Strategie verkaufen will, entstanden ist. Denn schon allein die Tatsache, dass man sich erst jetzt, gen Mitte der Wahlperiode, auf den Weg macht, um Handlungsspielräume des Landes im Pflegebereich auszuloten. Und dass man erst heute, im Jahr 2024 fragt, wie eine Landespflegestrategie entwickelt werden kann und welche Maßnahmen denn überhaupt möglich sind, ist erschreckend genug. Denn auch wenn viele Pflegethemen bundesgesetzlich nach SGB XI geregelt werden, sind die Länder noch lange nicht von ihrer pflegepolitischen Verantwortung entbunden. Im Gegenteil: Aus unserer Sicht ist es sogar enorm wichtig, dass gerade die Landesebene einen Beitrag für eine menschenwürdige Pflege und Krankenversorgung leistet.
Spielräume hierfür gibt es genug. Allein der SSW hat in dieser Wahlperiode mehrere landespolitische Maßnahmen zur Stärkung der Pflege beantragt. Hierzu zählen zum Beispiel Forderungen nach einem Landesbeitrag bei den Investitionskosten in der stationären Altenpflege und nach einer generellen Senkung der Eigenanteile von HeimbewohnerInnen. Oder die bessere Unterstützung der häuslichen Pflege, beispielsweise durch einen vereinfachten Zugang zum Entlastungsbetrag oder durch die Einführung einer echten Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige. Leider haben CDU und Grüne all diese Dinge aber abgelehnt, ohne den Betroffenen alternative Angebote zu machen. Und auch mit Blick auf die Pflegestrategie selbst muss man nach jetzigem Kenntnisstand festhalten, dass pflegende Angehörige wieder in die Röhre gucken. Denn statt sich endlich schwerpunktmäßig auf diese Gruppe zu konzentrieren, wird sie weder bei den finanziellen noch bei den organisatorischen Ressourcen priorisiert.
Auf den Bund zu zeigen und im Land eine Kostenvermeidungsstrategie zu fahren, wird der Herausforderung wirklich nicht gerecht. Es gibt durchaus Hebel hier auf Landesebene. Neben der Verringerung der finanziellen Belastung in der Altenpflege oder der Stärkung von Angeboten, wie etwa den Pflegestützpunkten, gibt es viele weitere gute und wichtige Ansätze. Dringend notwendig wäre zum Beispiel der Ausbau aufsuchender Beratungs- und Unterstützungsangebote. Das wurde zwar in einer großen Anhörung unter dem Arbeitstitel der „Vor-Ort-für-dich-Kraft“ von nahezu allen Anzuhörenden begrüßt. Doch dieser Ansatz scheint die Koalition offenbar genauso kalt zu lassen, wie die vielen überzeugenden Argumente für eine bessere Unterstützung pflegender Angehöriger oder für einen nennenswerten Ausbau der dringend benötigten Kurzzeitpflege durch eine verstetigte Finanzierung.
Der Begriff „Landespflegestrategie“ klingt schön und gut. Aber eine Strategie allein löst die vielen Probleme in der Pflege nicht. Eine wichtige Voraussetzung wäre eine ehrliche Bestandsaufnahme zur stationären Versorgung in der Fläche und eine darauf aufbauende Bedarfsplanung. Und wenn es denn das Label „Landespflegestrategie“ sein soll, dann muss diese natürlich auch mit konkreten Maßnahmen und belastbaren finanziellen Zusagen hinterlegt werden. Nur so lassen sich wirklich spürbare Verbesserungen und Entlastungen für die professionelle und die familiale Pflege erreichen. Vorschläge gibt es reichlich. Und weder Verweise auf die geringen finanziellen Spielräume im Land noch auf bestimmte Zuständigkeiten im Bund entbinden schwarz-grün von ihrer Mitverantwortung für diesen wichtigen Bereich. Es ist und bleibt eine Frage des politischen Willens und der Prioritätensetzung. Und da gibt es aus meiner Sicht noch deutlich Luft nach oben.