Rede · 01.09.2022 Passgenaue Angebote und gute Rahmenbedingungen für das Ehrenamt schaffen

„Ein verpflichtender Freiwilligendienst löst keines der derzeitigen Probleme der Gesellschaft, sondern tut vor allem eines: er höhlt den Ehrenamtsgedanken aus.“

Lars Harms zu TOP 15, 19, 41+45 - Ehrenamt und Freiwilligendienste (Drs. 20/161)

Wenn man die Fülle der Anträge betrachtet, könnte man auf die Idee kommen, dass das Ehrenamt endlich auf der politischen Tagesordnung angekommen ist. Da lohnt es sich, genauer hinzusehen, denn das Ehrenamt, also der freiwillige Einsatz für die Gesellschaft, ist vielfältig. Die Rentnerin, die an der Tafel kostenlose Lebensmittel verteilt, gehört genauso dazu wie der Handwerker, der einen Sportverein führt. Beide tragen zu einer lebenswerten Gesellschaft bei; aber beide benötigen völlig andere Unterstützungsangebote. Darum sollten wir passgenaue Angebote machen und gute Rahmenbedingungen schaffen.

Allerdings muss auch klar sein: Pflichtdienste kommen für uns nicht infrage. Man stelle sich nur die enormen praktischen Probleme vor, die sich durch die Verpflichtung von Millionen Frauen und Männern ergeben werden. Wer wird wann angeschrieben? Wie wird die Kinderbetreuung und eventuelle Unterbringung geregelt, wie Härtefälle berücksichtigt? Ich kann derzeit nicht erkennen, dass die deutsche Bürokratie in der Lage wäre, diese Probleme in angemessener Zeit zu lösen. Was besonders schwer ins Gewicht fällt: Ein verpflichtender Freiwilligendienst löst keines der derzeitigen Probleme wie Energiekrise und den ökologischen Umbau der Gesellschaft, sondern tut vor allem eines: er höhlt den Ehrenamtsgedanken aus.

Doch die Frage bleibt, wie wir das Ehrenamt unterstützen können. Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht nur einfach Geld aufs Ehrenamt schmeißen sollten und uns dann dem Irrglauben hingeben, dass damit alle Probleme gelöst wären. Entschädigungen und Steuerbefreiung sind nur ein Teil der Lösung. Eine Rentnerin mit Grundrente kann mit einer Steuerbefreiung herzlich wenig anfangen. Ihr wäre ein kostenloses Monatsticket für den ÖPNV eine echte Hilfe, damit sie von zuhause zur Tafel und zurückfahren kann. Diese Unterstützungsangebote sind vor allem auf dem Land bitter nötig. 

Und überhaupt ist das politische Ehrenamt von Kiel aus sehr leicht zu entlasten. Das politische Ehrenamt stöhnt unter der Last der Verordnungen und Richtlinien: Gemeindevertretungen und ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister kann und sollte das Innenministerium entlasten. Insgesamt sind die Rahmenbedingungen in den Gemeindevertretungen schleunigst zu verbessern, damit die Bindung zwischen Dorf und Verwaltung nicht verloren geht. Und das setzt auch voraus, dass sich Gemeindevertreter leicht zu Fraktionen zusammenschließen können und dass Gemeindevertretungen groß genug sind, damit alle politischen Strömungen auch vertreten sein können.

Der Antrag zur Einführung eines Fluthelferordens greift eine besondere Gruppe Helfender hervor. Viele Menschen in der betroffenen Ahr-Region hätten ohne Hilfe aus Schleswig-Holstein sicherlich die Flinte ins Korn geworfen. Es wäre gut, dieses Engagement öffentlich zu würdigen. Allerdings steht zu befürchten, dass wir durch einen Fluthelferorden andere Formen des Ehrenamtes zurücksetzen könnten. Eine Wertungs-Hierarchie im Ehrenamt wäre Gift für die gesamte Bewegung. Vergünstigte kulturelle Teilhabe durch eine Ehrenamtskarte wäre beispielsweise eine Würdigung, die nicht nur die Fluthelfern zugutekäme, sondern allen Ehrenamtlichen im Land.

Ganz zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass Ehrenamt nicht mit Einsparungen gleichgesetzt werden darf. Das Ehrenamt macht qualitativ ein anderes Angebot als das, was staatliche Stellen anbieten können. Was die Landesregierung allerdings tun kann, ist das Ehrenamt mit hauptamtlichen Strukturen zu unterstützen. In jedem größeren Verein wird hauptamtliches Personal für Büro und Geschäftsführung eingesetzt. Die Absicherung dieser Strukturen muss dauerhaft gesichert werden. Eine kurzfristige Projektfinanzierung hilft niemandem, sondern belastet die Vereine mit komplizierten Antragsformalien. Auch das müssen wir dringend ändern.

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