Rede · Christian Dirschauer · 27.08.2021 Mit der älteren Generation sprechen, nicht nur über sie
„Ich betrachte den Bericht als ersten Aufschlag für eine wachsende gesellschaftliche Aufgabe, nämlich die Sicherung der Selbständigkeit im Alter. Ich gehe davon aus, dass wir im Rahmen einer Anhörung die Interessen der älteren Generation direkt in den Prozess einbinden“
Christian Dirschauer zu TOP 57 - Selbstbestimmtes Leben der älteren Generation unterstützen (Drs. 19/2170 und 19/3183)
Jeder vierte Schleswig-Holsteiner ist 65 Jahre alt und älter. In vielen Bereichen sind ältere Menschen allerdings unterrepräsentiert. Da macht die Politik oftmals keine Ausnahme. Kein Wunder, dass sich die Älteren nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben oft nur noch mitgemeint fühlen; nach dem Motto: was gut ist für alle, ist auch gut für die Alten. Aber allzu oft werden auf diese Weise die Bedürfnisse der Älteren übergangen. Dieses Problem hat die Landesregierung erkannt und legt mit dem Bericht eine landesweite Bestandsaufnahme von Strukturen und Angeboten vor. Vielen Dank dafür.
Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die Interessen der älteren Menschen direkt eingeflossen wären; dass der Bericht nicht mit Altersbildern und Angeboten der Landesregierung gestartet wäre, sondern mit einer fundierten Untersuchung, was sich die ältere Generation wünscht und was sie zur Verbesserung ihrer Situation fordert; die Auswertung der Forderungen des Altenparlamentes wäre eine gute Ausgangsbasis gewesen.
Für mich ist klar: Die Wünsche der Betroffenen sollten Ausgangspunkt aller Überlegungen sein. Sicherlich wäre der Bericht dann auch etwas anders ausgefallen. Vor allem wäre dann aufgefallen, was dem Bericht fehlt. Ich möchte auf zwei Leerstellen des Berichtes aufmerksam machen:
Erstens: die Situation älterer Menschen mit einem Migrationshintergrund. Der Bericht stellt zwar fest, dass der Anteil von Menschen, die erst im Laufe ihres Lebens nach Deutschland gekommen sind, einen Höchststand erreicht hat, doch bleibt sie die Antwort auf die Frage, wie die Selbstständigkeit dieser Gruppe erhalten werden kann, schuldig. Die Vernetzung bestehender ehrenamtlicher Strukturen allein reicht wohl nicht aus. Angebote der Landesregierung auf Türkisch oder Russisch, um zwei Einwanderergruppen zu nennen, wären nach meinem Dafürhalten sehr angebracht.
Gerade im digitalen Bereich fehlen aber diese Angebote, obwohl es doch hier besonders leicht wäre, Info- und Hinweistexte auch in anderen Sprachen zu platzieren. In der Dänischen Minderheit wird die Ansprache durch Pflegedienste und im Altenheim auf Dänisch von den Klienten als besonders erfüllend erlebt. Sie müssen nicht um die Ecke denken, sondern können in ihrer Nähesprache kommunizieren. Dieses Angebot erscheint auch für die Migrantinnen und Migranten geradezu geboten. Ich würde mir wünschen, wenn entsprechende Angebote nicht mehr lange auf sich warten lassen würden. Der Anfang wäre gemacht, wenn ihre Interessen im nächsten Bericht überhaupt vertiefend Berücksichtigung finden würden und nicht einfach pauschal mitgemeint wären.
Zweitens: Ältere Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner, mit einer psychischen oder geistigen Behinderung sind, bleiben in dem Bericht unerwähnt. Im Flensburger Holländerhof gibt es spezielle Wohngruppen für die Flensburger, die vorher in einer Werkstatt mit Behinderungen tätig waren. Diese Senioren möchten gerne auch im Alter in gewohnter Umgebung wohnen bleiben - in der Nähe von Kollegen und Freunden. Der bürokratische Aufwand für diesen Schritt ist allerdings nicht ganz unerheblich. Trotzdem sind die Formulare das kleinere Problem. Viel gravierender ist der Mangel an geeignetem Wohnraum für diese Personengruppe. Ein Wohnbauprogramm würde hier Abhilfe schaffen und Selbständigkeit sichern. Wir alle wollen im Alter weitgehend selbständig leben. Bevor die geburtenstarken Jahrgänge in die Einrichtungen kommen, muss sich aber noch viel ändern.
Ich betrachte den Bericht als ersten Aufschlag für eine wachsende gesellschaftliche Aufgabe, nämlich die Sicherung der Selbständigkeit im Alter. Ich gehe davon aus, dass wir im Rahmen einer Anhörung die Interessen der älteren Generation direkt in den Prozess einbinden. Neben der verdienstvollen Arbeit des Altenparlamentes, das einmal im Jahr auf Einladung des Landtagspräsidenten zusammenkommt, hätten wir dann die Gelegenheit, nicht nur über die ältere Generation zu sprechen, sondern mit ihr.